Das Verlies
passt nicht. Und Ihre Frau hätte nach dieser Ehehölle wahrlich genug Gründe gehabt, mehr als nur ein Magazin leer zu schießen. Und selbst danach hätte sie sich noch vergewissert, ob das Objekt des abgrundtiefen Hasses auch wirklich tot ist. Aber Sie sind quicklebendig und erfreuen sich bester Gesundheit.«
»Sie hätten meine Frau sehen sollen, wie sie gezittert hat. Die war überhaupt nicht mehr zurechnungsfähig. Was ist jetzt mit meinem Anwalt?«
Durant schaute auf die Uhr und sagte: »Später.«
»Frau Durant, wir leben in einem Rechtsstaat, zumindest habe ich das bis vor ein paar Stunden geglaubt, aber mir scheint, dies ist ein Polizeistaat. Auch wenn Sie einen Haftbefehl haben, so können Sie mir nicht verbieten, mich mit meinem Anwalt zu besprechen.«
»Frank, lass ihn in seine Zelle bringen. Wir haben noch etwas Wichtiges zu erledigen.« Sie schaltete das Tonband aus und wandte sich dann wieder Lura zu. »Herr Lura, Sie leiden offensichtlich unter Minderwertigkeitskomplexen. Diese Komplexe sind derart massiv ausgeprägt, dass Sie sich grundsätzlich an Schwächeren vergreifen, insbesondere Frauen. Für Becker mussten Sie sich aber etwas Besonderes einfallen lassen, doch Sie wussten ja, dass er selbst große Probleme hatte. Zudem hat er Ihnen die Frau ausgespannt, was für Sie die Demütigungschlechthin war. Also haben Sie einen perfiden Plan ausgeheckt, so perfide, dass am Anfang wirklich alles so ausgesehen hat, als hätten Becker und Ihre Frau versucht, Sie umzubringen. Selbst einige meiner Kollegen waren noch vor wenigen Stunden der Meinung, dass Sie unschuldig sein könnten. Ich hatte jedoch schon seit unserer ersten Begegnung im Krankenhaus meine Zweifel. Sie sind ein hochgradig gestörter Psychopath, sehr intelligent und sehr eloquent. Aber all dies wird Ihnen jetzt nichts mehr nützen, denn das große Finale kommt heute Nachmittag.«
»Wollen Sie mir drohen?«
»Das habe ich gar nicht nötig. Ich frage mich nur, was in Ihrem Kopf vorgeht. Aber das wissen wahrscheinlich nicht einmal Sie selber. Ach ja, was mich noch interessieren würde – was ist das eigentlich für ein Gefühl, wenn man sich selbst bewusst Verletzungen zufügt? Ist das wie ein Orgasmus oder sogar noch besser?«
»Sie können mich mal!«
Lura wurde von einem Beamten in seine Zelle geführt, Durant und Hellmer zündeten sich gleichzeitig eine Zigarette an und rauchten schweigend. Jeder hing seinen Gedanken nach. Schließlich sagte Hellmer: »Das ist ein harter Brocken. Wir setzen ihn unter Druck, haben aber noch keine Beweise gegen ihn. Wenn wir nicht bald etwas Handfestes vorweisen können, wird es zu einem reinen Indizienprozess kommen, den Lura, wenn er einen cleveren Anwalt hat, mit Sicherheit gewinnen wird, vorausgesetzt, es kommt überhaupt zu einem Prozess. Wir haben einfach nicht genug.«
Julia Durant drückte ihre Zigarette aus und sagte: »Lass uns fahren, ich garantiere dir, in ein paar Stunden haben wir die fehlenden Beweise.«
»Und wohin?«
»Das hast du doch gestern schon gesagt – zu seiner Mutter. Lura ist ein Muttersöhnchen, und es müsste schon mit dem Teufelzugehen, wenn sie den Ort nicht kennt, wo Lura sich immer versteckt hat.«
»Okay, probieren wir’s.«
Sie erstatteten Berger und den andern kurz Bericht und machten sich auf den Weg nach Oberursel. Unterwegs hielten sie an einem Imbiss an, aßen jeder eine Currywurst mit Pommes und tranken eine Dose Cola. Um fünf vor zwei parkten sie vor dem Haus.
Montag, 13.55 Uhr
Ursula Lura kam an die Tür, sah die Beamten verwundert an und sagte: »Ja, bitte, was wünschen Sie?«
»Dürfen wir reinkommen, wir würden gerne mit Ihnen sprechen.«
»Und worüber, wenn ich fragen darf?«
»Das sagen wir Ihnen gleich.« Julia Durant fiel auf, dass sich Ursula Lura in der Wahl ihrer Worte kaum von ihrem Sohn unterschied.
»Und ich dachte, es wäre bereits alles geklärt. Aber bitte, treten Sie ein.«
Ein Strauß gelber Rosen stand auf dem Tisch, und wie beim ersten Besuch war es auch heute kalt und steril in dem Haus. Wieder kein Krümel auf dem Boden, kein Staubkorn auf den Möbeln, die Kissen standen wie mit dem Lineal gezogen auf dem Sofa und den Sesseln, die Fenster schienen frisch geputzt.
»Ist Ihr Mann auch zu sprechen?«
»Er hat sich hingelegt«, war die knappe Antwort.
»Wir würden ihn trotzdem gerne dabeihaben.«
»Was wollen Sie noch von uns?«
»Wenn Sie bitte Ihren Mann holen würden, sonst übernimmt das Herr Hellmer«, sagte
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