Das Verlies
Falsches sage.«
»Ich bin gegen eine Tür gelaufen, das ist alles. Aber ich sehe,Sie haben keine Mühe gescheut, in meinem Leben rumzuschnüffeln.«
»Herr Lura, man läuft nicht einfach so gegen eine Tür und liegt danach eine Woche im Krankenhaus, schon gar nicht, wenn es sich dabei um einen jungen, kerngesunden Mann handelt. Wir wissen, dass solche und ähnliche Vorfälle sich häufig zugetragen haben.«
»Ich war schon immer etwas unbeholfen. Außerdem, was hat das mit dem Verbrechen an mir zu tun?«, fragte er scheinbar gelangweilt.
»Unter Umständen eine ganze Menge«, sagte Durant. »Sie haben doch neben Psychologie auch BWL studiert. Ich weiß, ich weiß, auch dieses Examen haben Sie mit Glanz und Gloria bestanden. Wie war denn so das Verhältnis zu Ihren Kommilitonen und vor allem Kommilitoninnen?«
Lura lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Er sah Durant mit stechendem Blick an, fuhr sich mit einer Hand über die Nase und antwortete: »Wie soll ich mich mit ihnen verstanden haben? Ganz gut.«
»Hatten Sie einen guten Kontakt zu den andern Studenten?«
»Es geht. Die meisten von ihnen waren ziemlich unreif, wenn ich es so formulieren darf, was jedoch nicht arrogant klingen soll. Aber für das Gros war das Studium nur Nebensache, sie trieben sich lieber in Kneipen oder Discos herum, haben bis zum Koma gesoffen oder sich mit Hasch die Birne zugedröhnt. Mit diesen Dingen hatte ich allerdings nichts am Hut, falls Sie darauf hinauswollen. Für mich zählte nur die Uni und mein Studium.«
»Also hatten Sie doch kein so gutes Verhältnis zu Ihren Kommilitonen. Sie hatten sicher auch keine Freunde während dieser Zeit.«
»Nein, ich hatte keine Freunde.«
»Hätten Sie denn gerne welche gehabt?«
»Nein. Freunde hindern einen am Wesentlichen. Nur weil ichextrem diszipliniert war, habe ich es so weit gebracht. Das gilt im Übrigen auch heute noch.«
»Aber ohne Freunde kann man doch gar nicht richtig existieren. Jeder braucht jemanden, mit dem man seine Freude, aber auch seinen Kummer teilen kann. War da niemand?«
»Ich habe sehr früh gelernt, mir selbst mein bester Freund zu sein. Außerdem sollte Ihnen bekannt sein, dass ich bis vergangene Woche einen Freund hatte, Dr. Becker. Zumindest meinte ich, er sei mein Freund. Aber leider wurde ich eines Besseren, oder treffender gesagt, eines Schlechteren belehrt. Deshalb werden Sie verstehen, wenn ich auf Freundschaften keinen sonderlich großen Wert mehr lege.«
»Hatten Sie als Kind auch keine Freunde?«
»Warum interessiert Sie das?«
»Möchten Sie diese Frage nicht beantworten, oder können Sie nicht?«
»Natürlich hatte ich Freunde. Wir haben Fußball gespielt, haben uns versteckt, haben heimlich Liebespaare beobachtet, eben alles, was man als Jungs so treibt.«
»Wie hießen diese Freunde?«
»Das ist eine Ewigkeit her«, antwortete Lura schulterzuckend. »Namen sind für mich Schall und Rauch. Ich hab sie vergessen.«
»So, vergessen. Ich sage Ihnen etwas, Sie haben die Namen nicht vergessen, weil es keine Namen gibt. Sie waren immer allein, Sie hatten nie auch nur einen einzigen Freund …«
»Hören Sie doch auf mit diesem Psychoquatsch! Ich weiß genau, worauf Sie hinauswollen. Aber das zieht bei mir nicht. Was wissen Sie schon über meine Kindheit? Nichts! Und Sie werden auch nie etwas darüber erfahren, weil es nichts zu erfahren gibt.«
»Ich glaube, da täuschen Sie sich. Wir wissen mehr über Ihre Kindheit, als Sie uns hier weismachen wollen. Zum Beispiel sind Sie etliche Male für etwa einen Tag von zu Hause weggeblieben, und keiner hat eine Ahnung, wo Sie waren. Vielleichterzählen Sie uns das ja. Bleibt auch unter uns«, sagte Hellmer grinsend.
»Ich soll von zu Hause weggeblieben sein? Das ist schon wieder so ein Blödsinn! Wer setzt bloß solche Lügen über mich in die Welt?«
»Personen, die Sie sehr, sehr gut kennen. Ihr Vater zum Beispiel. Also, wo waren Sie?«
»Ich kann mich nicht erinnern. Und mein Vater bringt sowieso andauernd irgendwelche Sachen durcheinander.«
»Bei unserem ersten Besuch, es kann auch beim zweiten gewesen sein, hat Ihre Frau uns gesagt, Sie hätten so etwas wie ein fotografisches Gedächtnis. Aber an bestimmte Ereignisse aus Ihrer Kindheit und Jugend können Sie sich angeblich nicht erinnern. Seltsam.«
»Was ist daran seltsam?«, fragte Lura und zündete sich eine Zigarette an. »Ich wette mit Ihnen eins zu hundert, Sie können mir nicht einmal fünf Namen von so
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