Das Verlies
Bewegung dieser undurchschaubaren, so jugendlich wirkenden Frau, versuchte in ihrem Gesicht abzulesen, was sie dachte oder bewegte. Sie setzten sich, und Durant wollte bereits etwas sagen, als erneut die Türglocke mit einem warmen Dingdong anschlug.
Gabriele Lura fragte durch die Sprechanlage, wer da sei, eine männliche Stimme antwortete. Sie ging an die Tür, und ein etwa vierzigjähriger Mann kam herein. Er war kaum größer als Durant, schlank, hatte volles dunkles Haar und ebenso dunkle Augen. Er trug einen dunkelblauen Anzug, ein gestreiftes Businesshemd und eine gelbe Krawatte. Sein ganzes Outfit verriet, dass er seine Kleidung nicht von der Stange kaufte.
»Darf ich vorstellen, Hauptkommissarin Durant und Herr Hellmer von der Kriminalpolizei, Dr. Becker, von dem ich Ihnen bereits gestern erzählt habe.«
»Angenehm«, sagte Hellmer und reichte Becker die Hand. »Wir wollten sowieso noch mit Ihnen sprechen. So können wir uns den Weg sparen.«
»Ich habe aber nicht viel Zeit«, sagte Becker und schaute demonstrativ auf die Uhr, setzte sich den Beamten gegenüber und schlug die Beine übereinander, während Gabriele Lura stehen blieb. »Ich wollte Frau Lura nur einen kurzen Besuch abstatten, nachdem sie mir berichtet hat, was mit ihrem Mann passiert ist.«
»Was ist denn mit ihm passiert?«, fragte Hellmer vieldeutig.
»Was soll diese Frage? Glauben Sie vielleicht, ich weiß mehr als Sie? Aber da ich der Anwalt von Herrn Lura bin, interessiert mich natürlich auch, wie die Polizei den Fall behandelt.«
»Wir ermitteln in alle Richtungen«, mischte sich jetzt Durant ein. »Und auch wenn Ihre Zeit begrenzt ist, so möchten wir Sie doch bitten, uns ein paar Fragen zu beantworten. Und damit es schneller geht, werde ich mit Frau Lura sprechen und Herr Hellmer mit Ihnen. Sofern Sie damit einverstanden sind.«
»Bitte, wenn es nicht zu lange dauert. Wollen wir in das Arbeitszimmer von Herrn Lura gehen?«, fragte Becker und sah Hellmer an.
»Von mir aus.«
Im Hinausgehen warf Becker Gabriele Lura einen Blick zu, den Durant nicht zu deuten wusste, der von Frau Lura jedoch nicht erwidert wurde. Sie schaute stattdessen schnell zu Boden. Es war ein Blick, der eine gewisse Vertrautheit hatte, doch ich kann mich auch täuschen, dachte Julia Durant. Gabriele Luras Nervosität lag wie ein unsichtbarer Schleier in der Luft, und nachdem die beiden Männer den Raum verlassen hatten, schluckte sie ein paar Mal schwer, und ihre Augen schweiften ruhelos durch das große Zimmer.
»Lassen Sie uns doch im Sitzen darüber reden«, meinte Durant und bat Frau Lura, wieder Platz zu nehmen. »Haben Sie inzwischen weiteren Kontakt zu Ihren Schwiegereltern gehabt?«
Gabriele Lura lachte kehlig auf und antwortete, während sie sich setzte: »Meine Schwiegermutter hat heute schon dreimal angerufen. Und wie ich gestern bereits sagte, sie gibt mir die Schuld, wenn auch nicht direkt, aber durch die Blume deutet sie es an. So einfach ist das für sie.«
»Werden Sie sie sehen?«
»Sie hat mir quasi angedroht herzukommen. Zum Glück kommt sie erst morgen. Na ja, ich werd’s überleben. Und wenn Markus dabei ist, hält sie sich sowieso meist zurück.«
Durant ließ bewusst ein paar Sekunden verstreichen. Sie beugte sich nach vorn, die Arme auf den Oberschenkeln, die Hände aneinander gelegt, mit den Fingerspitzen berührte sie das Kinn.
»Frau Lura, wir haben das Auto Ihres Mannes von unseren Spezialisten untersuchen lassen. Sie haben Blut- und Haarreste gefunden. Welche Blutgruppe hat Ihr Mann?«
Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite, kniff die Augen zusammen und verkrampfte die Hände ineinander. »Was sagen Sieda? Sie haben Blut gefunden? Ist er tot? Wollen Sie mir das damit sagen?«
»Nein, das will ich nicht. Wir tappen völlig im Dunkeln. Aber das Ganze ist schon sehr mysteriös. Kennen Sie die Blutgruppe Ihres Mannes?«
»Ja, natürlich. B-positiv …«
»Dachte ich mir. Das ist nämlich genau die Blutgruppe, die auch im Labor bestimmt wurde. Wir können mittlerweile ein Gewaltverbrechen nicht mehr ausschließen, aber ohne Leiche kein Mord. Wir drehen uns ehrlich gesagt im Kreis, was das Motiv sein könnte und warum der Wagen Ihres Mannes ausgerechnet in einer Einkaufsstraße in Höchst abgestellt wurde. Haben Sie eine Erklärung dafür?«
Gabriele Lura schüttelte den Kopf. »Nein, das ist mir ein Rätsel. Vor allem, was sollte er in Höchst machen? Höchst ist in den letzten Jahren ziemlich heruntergekommen. Ich bin
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