Das Verlies
dass Rolf mir alles vermacht. Und er hat eine Lebensversicherung über drei Millionen Euro abgeschlossen, laut der ich die Alleinbegünstigte bin. Markus erbt erst etwas, wenn er achtzehn ist. Ich soll bis dahin das Vermögen verwalten. Hast du eine Erklärung dafür?«
»Ich habe keine, ich schwöre es. Ich …«
»Werner, ich habe genug von Spielchen, ich kann nicht mehr. Wenn auch du mich jetzt noch belügst, dann …«
»Ich belüge dich nicht, verdammt noch mal!«, fuhr er sie an und rüttelte sie an den Schultern. »Ich habe keine Ahnung, was es mit diesem zweiten Testament auf sich hat. Wann hat er es denn verfasst?«
»Am 18. Juni.«
»Und die Lebensversicherung, wann hat er die abgeschlossen?«
»Vor einem halben Jahr.«
»Vor einem halben Jahr«, wiederholte Werner Becker die letzten Worte mechanisch und ging im Zimmer auf und ab, wobei er sich immer wieder übers Kinn fuhr. »Er hat das ursprüngliche Testament bei mir unmittelbar nach der Geburt von Markus hinterlegt, mir aber nicht gesagt, dass es mittlerweile ungültig ist. Ich habe keine Erklärung für seinen Sinneswandel. Eigentlich solltest du nur ein Haus erben und ein Drittel des Vermögens, der Rest war für Markus bestimmt. Und jetzt auf einmal bist du quasi Alleinerbin. War Rolf in letzter Zeit irgendwie anders? Sei ehrlich.«
»Mein Gott, wie oft soll ich es wiederholen, Rolf war seit einem guten halben Jahr bei weitem nicht mehr so aggressiv und gewalttätig wie die Jahre zuvor. Vielleicht ist er ja allmählich zur Besinnung gekommen und … Aber vorgestern plötzlich, da hat er sich fast wieder benommen wie früher. Ich bin so durcheinander«, sagte sie und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
»Kann ich mir vorstellen. Aber sollte Rolf nicht mehr am Leben sein, dann wird doch alles gut für dich und Markus.«
»Die werden trotzdem immer denken, ich hätte was mit seinem Tod zu tun.«
»Dafür müssten sie erst mal Beweise erbringen. Doch es gibt keine Beweise gegen dich, denn du hast ihn nicht umgebracht. Also, worüber machst du dir Sorgen?«
»Über alles. Markus hasst seinen Vater, und er wird froh sein,wenn er nicht wiederkommt. Aber er soll ihn nicht hassen.« Sie sah auf und fuhr mit traurigem Blick fort: »Werner, du warst in den letzten anderthalb Jahren eine große Stütze für mich. Aber was jetzt passiert, muss ich ganz allein durchstehen. Sei mir nicht böse.«
»Was soll das heißen?«, fragte er mit einem seltsamen Unterton, die Augen zu Schlitzen verengt. »Heißt das, du willst, dass wir uns vorläufig nicht mehr sehen?«
Sie nickte. »Es wäre besser. Außerdem bin ich vorhin zu dem Schluss gekommen, dass es auch besser für dich und deine Familie ist. Du kannst und darfst Corinna nicht im Stich lassen. Ich mag sie, und sie wird sich auch wieder berappeln. Du weißt, ich liebe dich, aber …«
Es entstand eine Pause, während der beide nachdachten. Becker stand am Fenster, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Schließlich drehte er sich um. »Nichts aber. Gabriele, hör zu«, sagte er verständnisvoll und nahm sie in den Arm, »ich kann dich verstehen. Und du liebst mich nicht wirklich, du hast nur jemanden gebraucht, der zu dir hält.« Sie wollte etwas erwidern, doch er hob die Hand und fuhr fort: »Lass mich bitte aussprechen. Das ist nicht böse von mir gemeint. Du hast in den letzten Jahren eine furchtbare Zeit durchgemacht, und da würde so ziemlich jeder nach einem Strohhalm suchen, an dem er sich festklammern kann. Ich war der Strohhalm, und ich werde es auch weiter sein, sofern du damit einverstanden bist. Wir hatten ganz klar abgemacht, dass ich mich niemals von Corinna trennen werde. Ich sage dir aber auch, dass ich immer dein Freund bleibe. Mir war von Anfang an klar, dass es zwischen uns keine Liebe ist. Ich fühlte mich einsam und du auch. Eigentlich sind wir eher wie Geschwister. Was immer der Grund war, weshalb wir uns aufeinander eingelassen haben, ich bereue es nicht. Und das solltest du auch nicht. Rolf hat so viele Schweinereien begangen, da brauchst du dich nicht zu schämen. Und Corinna weiß von nichts, und sie wird es auch nie erfahren. Ich habe ihrvorhin gesagt, dass ich mit ihr ganz allein im November auf die Seychellen fahren will. Ihre Mutter wird die Kinder versorgen, und ich kann versuchen, mit Corinna ins Reine zu kommen. Das wollte ich dir sowieso in den nächsten Tagen sagen. Du bist eine wunderbare, liebenswerte Frau und hast ein besseres Leben verdient, und jetzt hast du
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