Das Verlies
sich im Laufe ihres Lebens immer wieder zerschlagen. Wie Seifenblasen im Wind. Sie empfand weit mehr als Freundschaft für Becker, aber sie schämte sich auch, sich mit einem verheirateten Mann eingelassen zu haben, vor allem, da sie seine Frau Corinna schon mehrere Male getroffen hatte, eine liebenswürdige, sehr charmante, doch sehr stille und introvertierte Malerin, die seit der Geburt des zweiten Kindes vor zwei Jahren in unregelmäßigen Abständen mehr oder minder starken Stimmungsschwankungen unterworfen war. Ihr Arzt hatte einmal gesagt, dass eine Wochenbettpsychose der Auslöser gewesen sein könnte. Becker liebte sie, obwohl sie ihm im Laufe der letzten zwei Jahre fremd geworden war, unter anderem weil ihre Stimmungsschwankungen ihn schlichtweg überforderten. Sie war eine begnadete Malerin, ihre Bilder wurden ausgestellt und kosteten inzwischen mindestens zehntausend Euro pro Exemplar, aber all dieser Erfolg schien sie nicht sonderlich zu beeindrucken, zumindest zeigte sie dies nicht nach außen. Ihr Mann und die Familie waren der Mittelpunkt ihrer kleinen Welt, aus der sie nur ausbrach, wenn sie sich vor die Staffelei stellte oder zu einem Empfang musste.
Doch an all das dachte Gabriele Lura in diesem Augenblick nicht, es gab zu viele andere Dinge, auf die sie sich konzentrierte. Sie war froh, auf ihre innere Stimme gehört und Markus zu seinem Freund Daniel geschickt zu haben, denn sie wollte nicht, dass er mehr als nötig von dem mitbekam, was im Moment geschah.
Sie legte etwas Make-up auf, zog die weißen Tennisschuhe und einen beigen Übergangsmantel an und verließ das Haus, nicht ohne vorher sämtliche Rollläden heruntergelassen und die komplette Außenbeleuchtung eingeschaltet zu haben. Sie ging hinunter zur Straße, lief ein paar Schritte in jede Richtung, um sich zu vergewissern, auch wirklich unbeobachtet zu sein, und holte schließlich ihren BMW aus der Garage, um nach Sachsenhausen zu fahren. Auf der Schwanheimer Uferstraße beschleunigte sie, um so schnell wie möglich ans Ziel zu kommen. Sie war zu sehr in Gedanken versunken, um den dunkelblauen Honda zu bemerken, der sich die ganze Zeit über in angemessenem Abstand hinter ihr hielt.
Mittwoch, 23.00 Uhr
Werner Beckers Jaguar stand bereits in der Garageneinfahrt, das Licht im ersten Stock brannte. Sie stellte ihren Wagen daneben, ging mit schnellen Schritten auf das Haus zu und betätigte kurz die Klingel. Sekunden später ertönte der Türsummer. Sie trat ein und stieg die Treppe hinauf in den zweiten Stock. Becker stand in der Tür, hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und machte hinter sich zu.
»Ich glaub, Corinna hat vorhin mitgekriegt, wie ich telefoniert habe. Jetzt schläft sie aber. Lange habe ich nicht Zeit.«
»Du weißt, dass das nicht meine Art ist, aber …«
»Schon gut. Erzähl einfach, was los ist«, sagte er, nachdem sie sich gesetzt hatte. Sie behielt ihren Mantel an.
»Die waren mit zwölf Mann da. Das ganze Haus haben die auf den Kopf gestellt. Es ist ein einziges Tohuwabohu. Die verdächtigen mich, etwas mit Rolfs Verschwinden zu tun zu haben, auch wenn die Kommissarin das Gegenteil behauptet. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Ich kenne aber auch niemanden, der ihn entführt oder gar umgebracht haben könnte. Ich bin einfach nur hilflos, und die Polizei lässt nicht locker.«
»Ganz ruhig«, sagte er, setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, die haben nichts, aber auch rein gar nichts in der Hand. Und ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, wer Rolf auf dem Gewissen haben könnte.«
Es entstand eine Pause, während der Gabriele Lura auf den Boden starrte und überlegte, wie sie die folgenden Worte formulieren sollte. Schließlich fragte sie ihn: »Werner, hat Rolf bei dir ein Testament hinterlegt?«
»Ja, das weißt du doch. Warum?«
»Und was steht da drin?«
»Das hab ich dir auch schon alles haarklein erzählt. Willst du es etwa noch mal hören?«
»Du brauchst es nicht zu wiederholen, ich kenne den Text auswendig. Aber wusstest du, dass es noch ein zweites Testament gibt? Von ihm handschriftlich verfasst.«
»Bitte, was? Das höre ich zum ersten Mal.«
»Er hat mit dir nie darüber gesprochen? Ihr seid doch so gut befreundet, er hat dir doch alles Mögliche erzählt.«
»Gabriele, worauf willst du hinaus? Meinst du, ich verschweige dir etwas? Wenn ja, dann sag’s«, entgegnete er pikiert.
»Die Polizei hat vorhin ein Testament gefunden, in dem steht,
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