Das Verlies
die große Chance dazu. Und wenn du willst, helfe ich dir bei allen anwaltlichen Fragen. Es wäre mir sogar eine Ehre, dich zu beraten.«
»Danke«, erwiderte sie lächelnd und wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. »Und die Idee von dir, mit Corinna mal ganz weit wegzufahren, finde ich gut. Und du meinst wirklich, die Polizei wird mich in Ruhe lassen?«
»Hundertprozentig. Sie werden noch einige Male kommen und die eine oder andere Frage stellen, aber du hast doch nichts zu verbergen. Und notfalls bin ich auch noch da.«
»Die denken, wir beide hätten ein Verhältnis«, sagte sie leise.
Er verzog die Mundwinkel. »Oh, das ist natürlich nicht so gut. Wie kommen die denn da drauf?«
»Unser Haus wurde heute Nachmittag beobachtet. Dabei haben sie dich kommen sehen und wissen auch, dass du sehr lange bei mir warst. Sie haben mich darauf angesprochen, aber ich habe beteuert, dass du nur ein Freund des Hauses bist und mich beraten hast.«
»Gut so. Dann weiß ich wenigstens, was ich sage, wenn sie mich besuchen. Und das werden sie garantiert.« Und nach einer Pause: »Mensch, Gabi, hätten wir uns nicht früher begegnen können? So fünfzehn Jahre?«
»Sind wir aber nicht. Leider. Doch wer weiß, wozu es gut war. Du hast feine Kinder, eine Frau, die alles für dich tun würde, und einen prima Job. Warum ich aber ausgerechnet Rolf begegnet bin, das weiß nur der liebe Gott.«
»Du wirst jemand andern finden, jetzt, da du frei bist. Ich gebe zu, es wird mir schwer fallen, dich nicht mehr so oft zu sehen, aber es ist okay. Dann ziehen wir also heute Nacht einenSchlussstrich unter unsere heimliche Liaison. Irgendwie bin ich traurig, doch ich sehe ein, dass es die beste Lösung ist. Aber weißt du was – ich bin froh, dass wir nicht im Zorn auseinander gehen. Ich könnte dir sowieso nie böse sein, dazu bist du viel zu liebenswert. Du bist fast zu gut für diese Welt.«
»Ach komm, hör auf mit diesem Gesülze, ich bin auch nur ein Mensch mit Fehlern und Schwächen«, wiegelte sie verschämt lächelnd ab. »Ich danke dir für alles und weiß gar nicht, wie ich es wieder gutmachen kann. Du kamst genau in dem Moment, als ich nicht mehr konnte. Und das Komische ist, du kennst Rolf länger als ich, und trotzdem sind wir erst vor anderthalb Jahren …«
»Schwelgen wir jetzt in Erinnerungen?«, sagte er lachend. »Vor anderthalb Jahren, da war auch mein absoluter Tiefpunkt. Corinna hat sich in ihre Welt zurückgezogen, die Kinder wurden von Corinnas Mutter versorgt, und ich habe nur gedacht, soll das alles gewesen sein? Wir sind erst aufeinander aufmerksam geworden, als wir beide so richtig am Boden lagen. Und dann haben wir uns gegenseitig aufgerichtet. Also habe ich auch dir zu danken.«
»Hast du dich eigentlich jemals mies gefühlt, wenn du Sachen für Rolf gemacht hast wie die mit dieser Karin Kreutzer?«
»Mies ist gar kein Ausdruck. Ich hätte Rolf umbringen können, aber ich hab’s mir nie anmerken lassen. Als ich die Kreutzer so zerschlagen und zerschunden gesehen habe, da hab ich nur gedacht, aus der Sache kommt er nicht mehr raus, weil ich nicht wollte, dass er da rauskommt. Aber er hat einen Dreh gefunden, indem er ihr Geld angeboten hat. Ich hab ihn dann davon überzeugt, dass es besser wäre, noch ein Geschenk obendrauf zu legen, was er dann auch getan hat. Und trotzdem, ich habe in solchen Momenten meinen Beruf gehasst. Die Drecksarbeit für andere erledigen, das wollte ich nie. Für ihn musste ich es tun.«
»Du hättest aber auch genauso gut sagen können, dass du nicht länger sein Anwalt sein möchtest …«
»Dann hätte ich dich aber nicht mehr sehen können. Und jetzt, wo er anscheinend nicht mehr da ist, beenden wir alles. Was immer auch der Sinn dahinter sein mag.«
»Es gibt für alles einen Sinn. So, und jetzt sollten wir besser nach Hause fahren. Und bitte, sei nicht traurig«, sagte sie und umarmte ihn. Als er sie küssen wollte, wandte sie ihren Kopf ab und meinte: »Nicht, es macht alles nur noch viel schwerer. Komm, gehen wir.«
»Warte noch einen Moment. Wenn die Polizei morgen kommt, werden sie mich noch einmal fragen, ob Rolf Feinde hatte. Du kennst wirklich niemanden, der ihn lieber tot als lebendig gesehen hätte?«
»Ich wünschte, ich würde jemanden kennen. Das würde nämlich alles viel einfacher machen. Außerdem müsstest du viel besser wissen, wem er alles Schaden zugefügt hat.«
»Da gibt es einige, aber nur junge Frauen. Geschäftlich war bei ihm alles
Weitere Kostenlose Bücher