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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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seine Worte. Er wußte, das Kind, vor allem Fremden ungewöhnlich scheu,
in seinen Spielen und seinen kleinen Interessen immer an das Haus
gebunden, lief nicht so weit fort.
    Im Wald begann es schon zu dunkeln. Sie riefen und
durchstreiften ihn nach allen Richtungen, doch als Antwort ward ihnen
die feierliche Stille der in die sinkende Nacht eingehenden Natur. Sie
kehrten zurück auf die Felder, die dargebreitet lagen dem hoch und
licht sich wölbenden Abendhimmel.
    Sie kamen zum Hof zurück. Es war zehn Uhr und die Nacht nun
völlig da. Die Mutter lehnte an der Türe des Hauses und weinte. Das
Kind war versteckt, und sie konnte es nur nicht finden. Erst hatte es
gelacht, dann war es eingeschlafen, nun würde es irgendwo in seinem
Versteck aufwachen, im Dunkeln sich fürchten, nach ihr, der Mutter,
rufen, nach ihr, der Mutter, seine kleinen Ärmchen ausstrecken, sie sah
es vor sich, seinen kleinen, im Weinen verzogenen Mund, die rinnenden
Kindertränen, sie fühlte sein kleines, schluchzendes Herz ihr
entgegenschlagen, und sie, die Mutter, fand das Kind nicht. »Wo hat
sich nur das Kind versteckt?« jammerte sie, wieder und wieder und
unaufhörlich durchsuchte sie im Dunkeln das Haus.
    Christian stand still im Hof. Von allen Seiten der Felder und
Wiesen kamen die Suchenden zurück, mit traurigen, langsamen Schritten,
und scharten sich stumm um den Herrn.
    »Sie kann in den Teich oder in eine der Gruben gefallen sein«,
sagte er ruhig.
    »Ach Gott!« Leise sagte es Blank, der Wirtschafter, der neben
ihm stand, schwer schluckte seine Kehle.
    Karl, der Sohn, vor Erregung bebend, ohne doch alles zu begreifen, rief
plötzlich mit heller Knabenstimme: »Soll ich den Scheiterhaufen
anzünden, zum Leuchten?«
    »Lauf!« sagte der Vater.
    Der Knabe lief, Freude in seiner jungen Seele, den
Scheiterhaufen nun doch noch brennen zu sehen. Als er zu dem Holzstoß
kam, der kunstgerecht, wohl zwei Meter im Quadrat, aufgebaut war,
erblickte er plötzlich Fritz, am Boden hockend, hinter dem
Scheiterhaufen verborgen.
    »Warum suchst du nicht mit?« fragte er ihn.
    »Ach was«, erwiderte Fritz. Er hatte schon alles zum Anzünden
vorbereitet. Eine Flasche Petroleum und ein Bündel Werg sowie ein
Feuerstein lagen neben ihm. Während Karl das Petroleum über das Werg
goß, schlug er die Funken, und bald loderten die Flammen hell und stark
aus der Mitte des trockenen, prasselnden Holzes hervor.
    »Vielleicht sehen wir die Anna jetzt«, sagte Karl leise vor
sich hin, nun doch wieder von Kummer bedrückt.
    »Die finden sie wohl nicht mehr«, sagte Fritz. Seine sanfte
Stimme war so leise, daß das Prasseln des brennenden Holzes seine Worte
fast verschlang, nur der hohe Ton schien in der Luft noch zu schweben,
und sein weißes, schön gebildetes Gesicht war golden angestrahlt vom
Feuerschein der Flammen.
    Auf dem Hof, der nun weithin erleuchtet war von dem
flackernden Licht der Flammen, begann die Arbeit von neuem. Es war wie
das spukhafte Widerspiel des Lebens am Tage. Die Menschen eilten hin
und her, die Schatten wuchsen bald riesenhaft groß empor, bald
verzehrten sie sich, die Gesichter und Hände tauchten auf, grell
gehoben ans Licht, und verschwanden ohne Spur im Dunkel wieder.
    Der Schuppen, in dem die Pumpen standen, wurde geöffnet und
sie hervorgezogen. Sie wurden an die Jauchegruben angesetzt, ihre Hebel
von den Männern auf und nieder geschwungen. Andere warfen mit langen
Gabeln den Dunghaufen um, der Herr selbst zog die kleinen Wagen der
Aborte hervor und durchsuchte mit langen Stangen die Exkremente.
    Die Hitze und der Bauch des in lodernden Flammen brennenden
Holzstoßes, der Geruch der Gruben und Aborte vermengte sich zu einem
höllischen Dunst.
    Mit der letzten Anstrengung wurden diese Arbeiten beendet,
erschöpft sanken alle zusammen.
    Vom Teiche kam der Fischer-Andres herauf, der im Schein von
brennenden Holzscheiten mit Booten und Netzen das Wasser durchzogen
hatte. Da er bemerkte, daß ein Brett der Brunneneinfassung gelockert
war, wurde trotz der allgemeinen Müdigkeit der Brunnen vollends
aufgedeckt und das Abflußbecken noch leergepumpt.
    Bis um ein Uhr nachts hatte man keine Spur von dem Kinde. Der
Scheiterhaufen war niedergebrannt, die Flamme schwelend erloschen. Die
Johannisnacht war da, die kurze Spanne der Dunkelheit zwischen dem
zögernd vergangenen Abend und dem bald sich wieder nähernden Licht des
Morgens.
    Die Menschen ruhten, zusammengesunken vor

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