Das verlorene Kind
Ordnung, den Sinn des
Seins durchbrochen hatte.
»Es muß Ordnung sein«, war jetzt der Trieb seiner Seele, wie
vorher grauenhafte Zerstörung der Trieb seines Körpers gewesen war.
Die Grube war zu klein. Ausgestreckt, ragte der Kopf des
Kindes daraus hervor. Er sah in der Dunkelheit ihn nur als einen
kleinen, grauen Hügel, der sich nicht einglätten wollte in die Ebene
der Grube. Er beugte sich nieder, griff in die mit hartem Stroh
vermengten Haare des Kopfes, hob ihn, drehte den Nacken nach oben, und
mit einem Schlag der Hacke zerschmetterte er die zarte Wirbelsäule, das
kleine Haupt sank herab, tief bis auf die kleine Brust. Doch durch den
Schlag erschüttert, war der kleine Körper weiter geschnellt, die
Füßchen ragten jetzt am anderen Ende der Grube über ihren Rand. Mit der
Hacke den Leib des Kindes in der Mitte festhaltend, stieß er mit den
Füßen dessen beide Knie hoch, so daß die Beinchen, an den Leib
angezogen, mit dem Haupt sich fast berührten, einander zugeneigt die
kleinen Glieder nun ruhten, wie einst, ungeboren, in der dunklen Grube
des mütterlichen Leibes.
Im Dunkeln schüttete er dunkle Erde auf. Mit den Händen die
kühle, schwere Krume fassend, warf er sie in die Grube, dann schichtete
er mit der Hacke das hohe, dichte Bodenstroh noch darüber. Doch alles
völlig zu ebnen, gelang ihm nicht, noch immer zeigte das kleine Grab an
Kopf- und Fußenden geringe Erhöhungen. Heißer, modriger Staub mischte
sich in seinen Atem, der alte Durst quälte ihn von neuem; ohne noch
einmal zurückzusehen, verließ er die Scheune.
Der strahlend helle Hof war jetzt voller Leben. Die wenigen
Minuten bis zum Melken waren vergangen. Brüllend, stampfend standen die
Kühe da und boten die gefüllten Euter den Melkerinnen dar, die Milch
schäumte weiß in die blitzenden Gefäße nieder. Aus dem Hause trat der
Herr, strich mit dem ruhigen, guten Blick über den Hof und ging dann,
begleitet von einer Magd, die einen großen, sauber verdeckten Korb an
den kräftigen Armen trug, den Weg zum Wald, wo er den Fällern und den
Söhnen die Vesper brachte. Dort wollte er bis zum Abend bleiben und mit
den anderen heimkehren.
Emma stand zwischen Hof und Haustür und zählte die Tröge, die
die Laufbuben und Mägde milchgefüllt zum Keller schleppten. Eine junge
Magd eilte zur Haustür und läutete die Glocke zur Vesper.
Von der Scheune Nummer vier kam der alte Güse, der von seinem
Dach schon langsam herabgeklettert war, als er die ersten Kühe auf den
Hof zutreiben sah. Neben ihm ging langsam Fritz, doch als die Glocke
ertönte, stürzte er vor, als erster trat er in die Küche, ergriff
gierig seinen Becher mit Milch und trank. Lange hielt er die kühle,
süße Flüssigkeit in seinem Mund, ließ sie auf und nieder wogen, ehe er
den Schluck in die Kehle rinnen ließ.
Vom Ententeich herauf kam die kleine Hirtin Minna gelaufen, ließ sich
von Emma die Vesper für sich und die Genossin geben und lief wieder
davon. Die Frau eilte geschäftig zwischen Küche und Speisekammer
einher. Die Beeren, fertig gekocht, mußten in Gläser gefüllt und
gekühlt werden, im Milchkeller der morgendliche Rahm abgenommen und
verbuttert, das Futter für den Abend, das Essen für die Nacht
zugerichtet werden. Der Herr hatte, nach dem Abschluß des guten
Geschäftes mit dem Viehhändler einen Augenblick in die Küche tretend,
verkündet, daß Johanni heute abend ein wenig gefeiert werden solle, da
die Hammel so gut gehalten und brav gemästet gewesen seien, die er eben
verkauft. Die Frau solle die Abendtafel vor dem Hause richten und ein
Fäßchen Bier und Beerenwein bereit halten. Daher war alles in freudiger
Eile, in festlicher Erwartung. Die Arbeit flog von den Händen, eines
half dem andern, der Feierabend sollte bald und in schöner Ruhe
begonnen werden.
Die Nachmittagsstunden vergingen schnell. Nach sechs Uhr
kehrte der Herr mit den Söhnen und den Arbeitern aus dem Holz zurück.
Die Knaben schleppten große trockene Äste und Abfall von den Stämmen
mit sich, liefen geschäftig den Hof hin und her, um einen
Scheiterhaufen zu errichten, den sie in der Dunkelheit entzünden
wollten zur Feier der Johannisnacht. Karl, der älteste Sohn, lief zum
Dachvorsprung der Scheune, wo die Geräte hingen für die Sommerarbeit,
um sich eine Axt zu holen, die Zweige und Stämme für den Scheiterhaufen
zu behauen. Zu seinem großen Erstaunen fand er da Fritz in tiefern
Schlafe auf dem Boden
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