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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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und ihm
das verdiente Geld abliefern und erhielten dann dafür am Ende einer
Fahrt eine größere Entlohnung ausgezahlt. Die Behörde konnte nun also
gut annehmen, daß das Kind von diesen frei und einzeln umherstreifenden
Personen der Bande ergriffen, ihr zugeführt und dann, als sich die
Zigeuner verfolgt fühlten, wieder weiterverschleppt wurde, da entgegen
den bestimmten Zeugenaussagen nie eine Spur des Kindes von den
Gendarmen bei den Zigeunern gefunden werden konnte. Die Protokolle der
Zeugenaussagen, die mit größter Gewissenhaftigkeit aufgenommen wurden,
ergaben folgendes Bild:
    Der erste Zeuge, Handelsmann Schröder, sagte aus: »Am
1. Juli war ich bei dem Schneider Freese in L., als eine
Zigeunerbande die Straße entlang kam. Bald darauf trat eine alte
Zigeunerin zu uns herein und bat um Kleidungsstücke und Geld. Vor der
Tür sah ich drei Kinder auf einem Karren sitzen, von denen mir
besonders ein Mädchen auffiel, welches ein schottisches Kleid trug und
hellblonde, lockige Haare hatte. Das Kind konnte drei bis fünf Jahre
alt sein. Ich kann mit Bestimmtheit behaupten, daß ich heute unter den
mir vorgestellten Kindern der Bande weder ein Mädchen mit so hellen
Haaren noch mit einem solchen Kleid gesehen habe.«
    Der zweite Zeuge, die Arztwitwe aus St, Frau Fischer, gab an:
    »Am 4. Juli kam ich aus dem Walde bei Sch. von einem
Spaziergang und sah in der Nähe des Gasthofes zum Krug eine
Zigeunerbande lagern. Ich wollte mir die Gesellschaft näher ansehen und
ging darauf los. Da fiel mir ein Wagen auf, mit einer schwarzen Plane
überzogen und mit Türen versehen, von denen die eine geöffnet, die
andere geschlossen war. Aus der geöffneten Tür wollte zweimal ein
hübsches Kind mit hellblauen Augen und lockigen hellblonden Haaren
heraussehen, wurde aber jedesmal von einem kleinen Knaben, der am Wagen
stand, zurückgeschlagen und mit alten Sachen überworfen. Als die Bande
später abfuhr, hörte ich ein Kind weinen und erfuhr dann von meiner
Kusine Anna, die noch vorher am Wagen gestanden hatte, daß es dieses
hübsche, blonde Kind gewesen sei. Das Kind mochte etwa drei bis vier
Jahre alt sein. Mit der größten Bestimmtheit kann ich behaupten, daß
dieses Kind unter der mir heute vorgestellten Zigeunerbande nicht
vorhanden ist. Den Knaben, der am Wagen stand und das Kind
zurückschlug, habe ich in dem mir vorgestellten sechsjährigen
Franz R. sofort wiedererkannt.«
    Angesichts der von dem Vater vorgelegten Photographie der
Anna B. erklärten beide Zeugen: »Wir erkennen in dem Bilde mit
voller Bestimmtheit dasjenige Kind wieder, welches wir bei den
Zigeunern gesehen haben.«
    Entgegen diesen Aussagen bestritten die Zigeuner hartnäckig,
je ein fremdes Kind bei sich gehabt zu haben. Die Untersuchung wandte
sich daher am nächsten Tage an die Kinder der Zigeuner und erhielt von
ihnen, wenn auch nicht ohne Drohungen mit Schlägen, folgende Auskünfte.
    Ein fünfjähriger Knabe erzählte: »Als wir in S. waren, habe
ich an dem Wagen mit der schwarzen Plane gestanden. In dem Wagen hat
ein kleines Mädchen gesessen, das etwas kleiner war als ich und ein
etwas dickeres Gesicht gehabt hat. Es ist wahr, daß ich dieses Kind in
den Wagen zurückgestoßen habe, während es den Kopf zum Fenster
hinausgesteckt hat, und dann alte Kleider darüber gedeckt habe. Daß ich
dies tun sollte, hat mir die Tante Rosa gesagt. Später hat das Kind im
Wagen geschrien. Am Anfang unserer Reise war das Kind noch nicht bei
uns. Gestern, als wir kamen, war es auch nicht mehr bei uns. Wer es
fortgeschafft hat, weiß ich nicht!«
    Ein etwa sechsjähriges Mädchen, mit reichen schwarzen Locken,
antwortete auf die ihr vorgelegten Fragen, während es tanzend von einem
Bein auf das andere sprang: »Wir sind schon viele Wochen auf Reisen.
Das fremde Mädchen ist nicht immer bei uns gewesen. Sie war beinahe so
groß wie mein Bruder. Ihre Haare waren weißer als meine Haare. Sie war
auch dicker im Gesicht als ich. Gespielt hat sie gar nicht mit uns. Sie
war unartig, weil sie immer weinte. Wie sie heißt, weiß ich nicht. Sie
hat immer in dem schwarzen Wagen gesessen. Hier in R. ist sie noch nie
gewesen. Sie ging einmal mit mir und meinem Bruder in ein Haus,
woanders. Wir ließen uns Wasser geben. Sie ging in der Mitte, wir
hatten uns alle drei angefaßt. Vor dem Hause saßen wir auf einer Karre.
Später ging das Mädchen mit einer Frau fort und ist nicht
wiedergekommen. Ich habe sie

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