Das verlorene Land
meinem Sinn. Sie sagen, es tut höllisch weh?« Sie schaute den Mann im Laborkittel an.
»Schlimmer als das, nicht einmal Morphium hilft, Ma’am. Die einzige Erlösung ist, den Patienten ins Koma zu versetzen. Oder in den Sarg zu legen.«
»Damit wäre ich einverstanden«, sagt sie. »Also, Dalby, eines kann ich Ihnen versprechen: Wenn es irgendwie möglich ist, diesen Mistkerl hierher in den Käfig zu bringen, dann werde ich es schaffen.«
»Ich denke, das genügt mir, Caitlin. Ich verstehe, dass es unter Umständen nicht möglich ist, aber Sie sollten alles versuchen. Außerdem würde ich mich über regelmäßige Berichte freuen. Baumer hat viele Aktivisten angeworben. Und auch wenn sein Netzwerk nicht mehr funktioniert, muss ich Ihnen nicht erst sagen, dass unseren Kollegen in Europa noch immer der Schrecken der Intifada in den Knochen steckt. Vor allem den Deutschen, weil sie so viele Flüchtlinge aufgenommen haben. Wenn wir Baumer lebend kriegen und ihn in die Mangel nehmen können, dann würde das unsere Kontakte mit dem BND und dem Verfassungsschutz aufmöbeln. Im Augenblick steht er auf der Prioritätenliste der anderen vielleicht nicht ganz
oben, sehr wohl aber auf unserer. Und wie ich schon sagte, unsere Kollegen auf dem Kontinent werden uns sicherlich dankbar sein.«
Caitlin schüttelte den Kopf.
»Es gab eine Zeit, Dalby, da haben wir uns ganz allein um solche Typen gekümmert.«
»Ich glaube, ich hatte es Ihnen gegenüber schon erwähnt, Caitlin, wir leben in einer postironischen Welt.«
30
Texas, Regierungsbezirk
Miguel wog die Chancen ab. Sieben Männer gegen dreiundzwanzig.
Oder eher wohl einundzwanzig, korrigierte er sich, während er versuchte, das geronnene klebrige Blut von seinem Handrücken zu reiben. Genauer gesagt waren es wohl fünf Männer und zwei Jungen gegen einundzwanzig Road Agents.
Und gegen ihre Huren.
Die durfte man auch nicht vergessen. Man war genauso tot, wenn man von einer Frau eine Kugel in den Rücken bekam, die ihren verlausten Vergewaltiger schützen wollte, wie wenn man direkt von ihm erschossen wurde. Miguel Pieraro schätzte ihre Möglichkeiten ab und schüttelte den Kopf. Nur ganz wenig, damit niemand es bemerkte. Die Chancen standen gar nicht gut.
Er fragte sich auch, wie standfest seine Männer wohl waren, wenn es zum Kampf kam. Mormonen waren keine Pazifisten. Wer konnte sich das schon in dieser neuen Welt leisten? Aber sie waren auch nicht die geborenen Kämpfer und Killer, im Gegensatz zu den Männern, mit denen sie es jetzt zu tun bekamen.
Die kleine Gruppe kroch so leise wie möglich vorwärts durch das Gewirr der verrosteten Autowracks, das hüfthohe Gras, herumliegende Flaschen und sonstigen Unrat, der ihnen im Weg lag. Sie schlichen durch verwilderte Vorstadtgärten, wenn es möglich war, um die Straßen zu vermeiden, wo man sie leichter bemerkt hätte. Nicht dass
er erwartet hätte, dass die Road Agents Wachposten aufgestellt hatten. Bislang hatte ihr Verhalten ihn nicht besonders beeindruckt. Hinter einem Schuppen, ungefähr hundert Meter vom Hy Top Club entfernt, machten sie halt.
In der einen Hand hielt er seine Winchester. Seine Finger klopften nervös gegen den Holzschaft. An der Hüfte trug er außerdem seine Lupara. Er spürte ihr Gewicht, und das beruhigte ihn. Wenn die erst mal losging, würden ihre Gegner wissen, was die Stunde geschlagen hatte. Die Lupara war eine abgesägte Schrotflinte, geladen mit einer Schrotpatrone Nr. 2. Es war eine alte italienische Flinte, die früher zur Wolfsjagd benutzt worden war. Später hatte die Mafia auf Sizilien sie eingesetzt, um Menschenansammlungen zu beschießen, wenn es nicht darauf ankam, wen man traf. Leider musste Miguel diese Waffe ganz vorsichtig einsetzen, da sie die Frauen, die sie befreien wollten, nicht in Gefahr bringen durften. Aus diesem Grund hatte er noch eine dritte Waffe dabei.
Miguel warf den beiden Männern zu seiner Linken einen kurzen Blick zu, es waren Aronson und der Junge namens Orin. Sie hielten etwas in den Händen, das in der Dunkelheit wie schwere Baseballschläger wirkte, aber auf ihrem Rücken hingen M-16-Maschinengewehre. Er war schon sehr besorgt, wie unangenehm sich möglicherweise seine Waffen auf die Frauen auswirken würden, und seine Befürchtungen wurden angesichts dieser unheilvollen Waffen nur noch größer. Wenn man den Abzug zu lange hielt und nicht genau zielte, dann konnte man damit ein Dutzend Personen auf einen Schlag in Stücke schießen, egal ob es
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