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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Birmingham
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wirklich nutzen können. Mr. President, wir müssen die Lage realistisch einschätzen. Wir können diese Stadt zurückerobern, halten und wieder aufbauen. Aber es wird nicht das New York sein, das wir gekannt haben.«
    Kipper lehnte sich zurück und streckte sich. Er war völlig verkrampft. Er schenkte sich ein Glas Wasser ein und dachte über die Möglichkeiten nach.
    Er wusste, dass es ein Grundsatz des Ingenieurberufs war, dass man gelegentlich etwas zerstören musste, um Neues aufzubauen. Nur dass derartige Zerstörungen minimal waren, geordnet durchgeführt wurden und niemand dabei zu Schaden kam. Jedenfalls nicht absichtlich. In den letzten vier Jahren, so hoffte er, hatte er bewiesen, dass er nicht gerade zimperlich war, wenn es darum ging, die Feinde Amerikas zu töten, wenn es nötig war. Aber all diesen wertvollen Besitz zu zerstören … New York hatte eine lange Geschichte … Museen, Galerien, der Central Park, Gebäude, die etwas zu erzählen hatten, ganze Romane in Stein standen dort. Wenn man das alles zerstörte, würde man einen Großteil des nationalen Vermächtnisses mit zerstören.
    »Lassen Sie mir Zeit, darüber nachzudenken, Tommy«, sagte Kipper. »In der Zwischenzeit gebe ich ihnen die Vollmacht, die Marines so einzusetzen, wie Sie es vorgeschlagen haben.« Hinter ihnen klopfte es an die Tür, eine
junge Frau trat ein und tippte entschuldigend auf ihre Armbanduhr.
    »Mr. President, die Verbindung wird gleich abbrechen.«
    Er deutete ein »Dankeschön« mit den Lippen an und entschuldigte sich bei Franks wegen der Unterbrechung.
    »Vielen Dank, General. Die Satellitenverbindung wird gleich zu Ende sein. Aber seien Sie sicher, dass ich mich um eine Entscheidung nicht drücken werde. Ich werde sie Ihnen schon sehr bald mitteilen …«
    Aber da war der Schirm, auf dem eben noch General Franks zu sehen war, schon leer.
    Kipper und Culver saßen schweigend in dem heißen, engen Zimmer. Endlich einmal schien sein Stabschef zu verstehen, dass er nicht angesprochen werden wollte. Er musste jetzt einfach einige Minuten lang darüber nachdenken. Kipper versuchte, sich in all die Männer und Frauen zu versetzen, die er nach New York geschickt hatte, als er noch dachte, es handle sich um nichts weiter als eine größere Polizeiaktion. Diese Piraten waren ihm damals bloß als übertrieben glorifizierte Plünderer erschienen. Sie waren überall im Land ein Problem, nicht nur in New York. Aber in seinen Augen waren sie nie etwas anderes als Gesindel gewesen. Bis jetzt.
    Und nun?
    Er wusste es nicht. Er hatte nicht genügend Informationen. Wieder einmal beneidete er seine Amtsvorgänger. Bush hatte praktisch über unbegrenzte Informationsmöglichkeiten verfügt, über nahezu allwissende Geheimdienste, alles sehende Spionagesatelliten und ein riesiges Netzwerk von Agenten. Kipper hatte festgestellt, dass er manchmal von einer geradezu kindischen Eifersucht befallen wurde, wenn er daran dachte, über wie viele Informationen Bush verfügt hatte, als er den Irakkrieg vorbereitete. Wenn er nur ein Zehntel davon nutzen könnte, es wäre großartig gewesen.

    Stattdessen war alles lückenhaft, und immer wurde er von Zweifeln geplagt. Und von Angst. Die Angst davor, dass jede Entscheidung, die er traf, sich als falsch erwies. Jedes Urteil als Irrtum. Seine Begründungen nicht fundiert.
    »Jed, ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte er mit heiserer Stimme. »Anscheinend muss ich ständig falsche Entscheidungen treffen.«
    Culver streckte die Hand aus und drückte seinen Arm.
    »Nein, Mr. President, Sie tun sehr oft genau das Richtige. Aber Sie vergessen immer wieder, dass die Welt nicht nach den Gesetzen des Ingenieurwesens funktioniert. Sie haben es hier nicht mit geradlinigen Situationen zu tun, mit ausbalancierten Kräften und messbaren Größen. Sie haben es mit Menschen zu tun. Mit fehlerhaften, unperfekten Leuten. Man kann menschliche Angelegenheiten nicht regeln, indem man einen rechten Winkel auf einer technischen Zeichnung anbringt. Weder die Tugenden noch die Bösartigkeiten der menschlichen Seele sind messbare Größen. Man kann nur sein Bestes tun, das ist alles.«
    Kipper senkte den Kopf auf seine Hände, schloss die Augen und rieb sich die Schläfen, in denen es heftig pochte.
    »Jesus, Jed, Sie haben ja eine tolle Art, jemanden aufzurichten.«
    Er wusste, dass auf den Bildschirmen vor ihm noch immer Aufzeichnungen von den Kämpfen in New York zu sehen waren. Er schaute nicht hin. Was er dort sah,

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