Das verlorene Land
lockerer.
»Ich vermisse meine Freunde aus dem Lager und die vom Boot«, sagte sie.
»Ja, okay«, sagte Miguel. »Freunde sind wichtig. Ich hatte zwei sehr gute Freundinnen auf dem Boot, mit dem wir aus Mexiko geflohen sind. Meine Frau, Mariella, Gott sei ihrer Seele gnädig, konnte sie auch gut leiden. Miss Julianne, eine echte englische Dame und Miss Fifi, die mehr Stacheln hatte als alle Kakteen in Mexiko, aber ein Herz so wertvoll wie Montezumas Goldschatz.«
»Soll das jetzt ein Scherz sein?«, fragte Miss Jessup amüsiert.
»Ja, genau«, sagte er traurig. »Es war einer von Miss Fifis Lieblingsscherzen. Aber ich habe es nur erwähnt, um meine Traurigkeit zu überspielen. Sie ist längst tot.«
»Das ist bedauerlich«, sagte Trudi. »Wir leben in einer grausamen Welt.«
»Ja, so ist es wohl, Miss Jessup.«
In diesem Augenblick kam Adam herein und bewahrte ihn vor weiteren Peinlichkeiten. Miguel bemerkte, wie seine Tochter das Zimmer nach Sally Gray absuchte, aber die war wohl in die Küche gegangen, um dort mitzuhelfen.
»Miss Jessup, Miguel«, sagte der Junge, »ich werde mich jetzt schlafen legen. Soll ich Sie später wecken? Ich habe
seit heute diese neue Uhr. Hab sie im Arbeitszimmer im ersten Stock gefunden. Das ist so eine, die sich selbst aufzieht, wenn man den Arm bewegt. Und sie hat eine Weckeinstellung.«
»Das wäre sehr nett. Vielen Dank, Adam«, sagte Miguel. Er hätte ihm gern etwas zu trinken angeboten, damit er länger bei ihnen blieb. Aber anstatt etwas zu sagen, nahm er lieber noch einen Löffel von dem Eintopf.
Miss Jessup, die sich jetzt wieder völlig beruhigt hatte, streckte den Arm aus und griff nach Adams Handgelenk.
»Das ist ja ein richtiges Prunkstück, Adam. Eine TAG Heuer. Die hält ein Leben lang, wenn man sie gut behandelt.«
»Glauben Sie?«, fragte er.
»Ganz bestimmt. Ach übrigens, du hast nicht vielleicht Lust auf ein Gläschen, oder darfst du nicht?«
»Nein, vielen Dank, Ma’am. Das wäre eine Sünde. Für mich jedenfalls. Aber Sie dürfen natürlich gern. Und Miguel auch. Er ist ja Katholik. Und die trinken ganz schön viel.«
Trudi Jessup sah zur Decke und gab ein kehliges Lachen von sich.
»Oh, Adam, ich wurde von Nonnen unterrichtet. Das war noch im letzten Jahrhundert, und deshalb würde ich mal sagen, dass das wirklich schon sehr lang her ist.«
»Sofia«, fragte Miguel. »Möchtest du vielleicht einen kleinen Schluck trinken? Miss Jessup meint, dass er besonders gut ist.«
»Oh, bitte, können Sie mich nicht Trudi nennen? Wenn Sie mich Miss Jessup nennen, komme ich mir vor wie eine alte Schachtel. Und was den Wein betrifft, Sofia, der ist wirklich gut, nur ein ganz bisschen oxidiert.«
Miguel war kein Puritaner. Seit Jahren schon erlaubte er seiner Ältesten, dass sie zum Abendessen einen kleinen
Schluck Wein trank und natürlich ein Glas Wasser dazu. Er und seine Frau waren der Ansicht, dass es das Beste war, nicht zu viel Geheimnisse um alkoholische Getränke zu machen, so wie es die Mormonen taten, denn dann wurden sie nur verklärt.
»Ich nehme gern ein Glas«, sagte Sofia. »Zu Hause haben wir manchmal Wein getrunken. Aber ich kann nicht beurteilen, wie gut er war.«
Miguel gab ihr erst mal einen Schluck aus seinem Glas, bevor Miss Jessup – Entschuldigung, Trudi – wieder nachschenkte. Die Mormonen waren jetzt alle gegangen, nur aus der Küche hörte man noch Geräusche. Marsha, die ehemalige Lagerhure, hatte sich auf dem Sofa ausgestreckt und eine bunte Navajo-Decke über sich gelegt und wandte sich nun ab. Die anderen beiden rauchten noch und flüsterten zusammen, aber sie hatten das Interesse an Trudi und Miguel verloren. Adam, der sich offenbar ein wenig ausgeschlossen fühlte, schaute sich erst vorsichtig um, bevor er Trudis Glas nahm.
»Nur einen kleinen Schluck«, sagte er. »Damit ich weiß, um was es eigentlich geht.«
Sie lächelte ihn an und ließ ihn einen großen Schluck nehmen. Dann lachte sie laut auf, als er das Gesicht verzog.
»Schmeckt wie Kräutersirup oder so was in der Art«, sagt er offenbar unbeeindruckt.
»Nun ja«, widersprach Trudi, »offiziell riecht es nach Vanille, Orangenschale und Tabak und schmeckt nach roten Beeren und Rauch und hat eine fein balancierte Säure mit würzigen Noten im Abgang.«
Miguel und Adam starrten sie an, als wäre sie verrückt geworden. Sofia jedoch schaute sie fasziniert an.
»Ich hab mal über Essen und Trinken geschrieben«, erklärte Trudi.
»Rezepte aufgeschrieben?«,
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