Das verlorene Land
Teich an der Ecke zur Fifth Avenue zurückzulegen. Sie atmete den Duft der frisch aufgeworfenen Erde ein und den metallisch-scharfen Geruch von Sprengstoff, der noch in der Luft hing. Ein paar Flammen züngelten noch aus dem zerstörten Karussell, aber der Regen hatte den größten Teil des Brandes gelöscht.
Caitlin konnte erkennen, dass das Plaza besetzt war. Zwar war das Hotel nicht hell erleuchtet, und man sah auch nicht, dass dort viele Menschen herumliefen, aber hier und da konnte man hinter den Fenstern Lichter schimmern sehen, und gelegentlich sah man die Umrisse einer Gestalt, die hinausschaute. Während der fünfzehn Minuten, die sie in den Überresten der alten Brücke lag, bemerkte sie drei Männer, die das Gebäude verließen und nach Downtown gingen. Zwei kamen angerannt und durchquerten mit großen Sprüngen den Pulitzer-Brunnen. In ihren Unterlagen hatte sie gelesen, dass das Plaza Hotel möglicherweise als Ruheort und Erholungszentrum genutzt wurde. Es war bislang nicht beschossen worden, weil die US-Regierung möglichst viel von der alten Infrastruktur der alten City erhalten wollte. Außerdem gab es Hinweise darauf, dass in diesem Gebäude Amerikaner und vielleicht auch Angehörige anderer Nationen gefangen gehalten wurden.
Für Caitlin sah das viel eher nach Baumer aus als dieser ganze Piratenblödsinn, der sich hier abspielte. Dieser dreckige Vergewaltiger amüsierte sich nur allzu gern mit Sklavinnen,
die er in seinem Privatbordell missbrauchte. Außerdem würde ein derartiges Hauptquartier sein Ansehen bei einigen seiner Verbündeten, den etwas grobschlächtigeren Banditenführern, erhöhen. Das war sicherlich ein guter Ort, um mit der Suche nach ihm zu beginnen. Sie schaute auf die Uhr. Im Osten hellte sich bereits der Himmel auf. Sie hatte noch ungefähr eine halbe Stunde bis zum Tagesanbruch und dann noch ungefähr sieben Stunden, bis die Air Force ihren Einsatz flog, um diesen Ort plattzumachen. Vielleicht nicht unbedingt das Plaza, aber ganz bestimmt jede andere Ansammlung feindlicher Kämpfer in Midtown Manhattan. Sie musste sich also beeilen.
Auf der anderen Seite des Teichs waren einige Bäume stehen geblieben, die ihr Schutz boten. Caitlin benutzte sie, um von dort aus zu planen, wie sie sich dem Hotel nähern wollte. Das Hämmern von Gewehrschüssen, das dumpfe Krachen von explodierenden Granaten und das kontinuierliche Trommeln des Artilleriefeuers hallte vom unteren Ende der Insel zu ihr herüber. Der Lärm half ihr dabei, sich geräuschlos anzuschleichen, indem sie den Weg von einer Deckung zur nächsten im Laufschritt zurücklegte. Auf diese Weise näherte sie sich in einem Bogen dem südlichen Ende des Central Park. Am Ende des Parks erreichte sie eine Stelle, wo Hunderte von Autowracks sich ineinander verkeilt und übereinander geschoben hatten, als sie ihre Insassen plötzlich verloren hatten. Sie duckte sich hinter ein gelbes Taxi, das von einem Lastwagen umgestoßen worden war, und nahm sich einige Minuten Zeit, um die übrige Strecke abzuschätzen.
Sie hatte nicht die Absicht, sich den Weg direkt in das Hotel zu bahnen. Da sie nicht wusste, wie der Feind sich verschanzt hatte, wäre das ein unnötiges Risiko gewesen. An das Hotel grenzte an der einen Seite ein kleineres Gebäude an, und Caitlin entschied, nachdem sie es eine Weile durch ihr Nachtsichtgerät beobachtet hatte, dass es
unbewohnt war. Vom Dach dieses Mietshauses würde sie sich durch ein Fenster Zugang zum fünften oder sechsten Stockwerk des Hotels verschaffen. Sie zog die Pistole aus dem Halfter und schob den Schalldämpfer, den Gerty ihr in London gegeben hatte, auf den Lauf. Und dann, als das erste zarte Grau des nahenden Tages sich zögernd ausbreitete, ging sie los, um ihre Zielperson zu finden.
46
New York
»Mach weiter. Versuch’s nochmal. Pass auf, was passiert.«
Der Mann warf Caitlin über das dicke Rohr des Schalldämpfers einen finsteren Blick zu. Das Mädchen lag zusammengekauert mit angezogenen Beinen auf dem Bett, das weiße Laken eng um sich geschlungen. Es hatte die Augen weit aufgerissen vor Angst, ihr Blick wanderte zwischen dem auf dem Boden liegenden, blutenden Mann und Caitlin hin und her. Sie befanden sich in einem der Hotelzimmer.
»Nur zu«, sagte Caitlin. »Ich meine es so, wie ich es gesagt habe. Versuch ruhig, nochmal nach Hilfe zu rufen. Ist schon zwei Minuten her, seit ich jemanden umgebracht habe. Ich kann noch etwas Übung gebrauchen.«
Der Mann sah aus wie ein
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