Das verlorene Land
Familie hat schon unter ihrem eigenen Banner die Franzosen in Agincourt niedergemetzelt, als die meisten anderen Möchtegern-Helden sich noch ihr Zubrot verdienten, indem sie Hundescheiße für die Gerberei sammelten.«
Die Frau grinste, aber es war nur der Anflug eines Lächelns.
»Also seid ihr Schmuggler oder Grenzgänger oder was Ähnliches«, stellte die Frau fest.
»So etwas Ähnliches«, räumte Julianne ein. »Aber nicht so, dass es sich lohnen würde, große Worte darüber zu machen. Ich fürchte, nun ja, tatsächlich ist es ziemlich peinlich …«
Rhino übernahm das Wort, um Julianne aus der Verlegenheit zu helfen.
»Wir wurden beauftragt, oder jedenfalls dachten wir das, von einem Mann namens Rubin, einem Geschäftsmann aus Seattle, der uns sagte, er hätte Dokumente in New York, die belegen, dass er Anteile an einem Ölfeld in Kalifornien hat. Er hat uns den Auftrag erteilt, diese Papiere zu holen.«
»Reden Sie weiter«, sagte die Frau.
»In Wirklichkeit war das alles Blödsinn, nicht wahr?«, sagte Julianne und nahm den Faden wieder auf. »Es gibt gar keinen Rubin und wahrscheinlich auch keine Dokumente. So wie es im Moment aussieht, gibt es wahrscheinlich noch nicht mal dieses Ölfeld. Das Ganze wurde von einem Mann namens Cesky in die Wege geleitet. Ich hab ihm ziemlich übel mitgespielt, in Acapulco, kurz nach dem Effekt, und ich denke, dies ist seine Rache. Vielen Dank also für die Unterstützung. Ich bin wirklich sehr froh darüber, dass man mich noch nicht ermordet hat. Aber mein Partner und ich, wir sollten uns wohl so langsam mal davonmachen.«
»Also gut«, sagte die Frau. »Sie können aufstehen und aus der Schusslinie gehen, falls doch noch jemand die Treppe raufkommt. Aber lassen Sie die P-90er da, wo sie sind. Und bis jetzt haben Sie mir immer noch nicht erzählt, was hier für Leute waren, bevor sie herkamen.«
Julianne stand mühsam auf. Ihre Knie schmerzten höllisch, und in ihrer Schulter pochte es heftig. Ihr war schwindelig, weil sie so viel Blut verloren hatte, und sie musste dringend ihre Fleischwunde versorgen. Am liebsten wäre sie in eine Wanne mit heißem Wasser gesunken,
mit einem Glas Gin in der Hand, und hätte dieses ganze beschissene Desaster vergessen.
»Wir haben Ihnen nichts gesagt, weil wir nichts wissen«, erklärte sie. »Wir haben hier drin Schutz gesucht, nachdem wir vor dem Gebäude unter Beschuss geraten sind. Das ist auch schon alles. Falls die Männer, nach denen Sie suchen – ich gehe mal davon aus, dass Sie auf der Suche nach ihnen sind -, falls diese Männer also immer noch hier wären, dann wären wir wohl alle längst tot.«
Die Frau hielt immer noch ihren Karabiner auf sie gerichtet, aber sie schien das Interesse an ihnen zu verlieren. Die Dokumente, die Rhino gefunden hatte, zogen sie offenbar viel mehr in den Bann. Trotzdem glaubte Julianne nicht, dass es sinnvoll war, jetzt nach einer Waffe zu greifen und einen Fluchtversuch zu unternehmen. Alles an dieser Frau machte einen ziemlich tödlichen Eindruck: ihre minimalen Bewegungen, die Art, wie sie ihre Kräfte schonte, die Aufmerksamkeit für alle Details in ihrer Umgebung, egal ob sie etwas nun direkt in den Blick nahm oder nicht. Julianne hatte eine Menge Menschen im Laufe ihres Lebens kennengelernt, schon lange vor der Zeit, als familiäre Schwierigkeiten sie dazu zwangen, Schmugglerin zu werden. Und danach natürlich sowieso. Aber sie war noch nie einem Menschen begegnet, der eine derartige eiskalte Aura unmittelbarer Gefahr verströmte. Sie zweifelte nicht daran, dass, wenn sie dumm genug war, etwas gegen sie zu unternehmen, ihr Gehirn über die Wand verspritzt würde, noch bevor ihr toter Körper auf dem Boden landete.
»Falls Sie meine Meinung hören wollen, Ma’am«, sagte Rhino, »dann haben Sie es hier mit zwei hochgradig begabten, kampferprobten und vertrauenswürdigen Personen zu tun.«
»Nein«, sagte sie. »Ich habe eine kalte Spur und zwei Glücksritter vor mir, denen ich nicht über den Weg traue.
Und was Ihre Glaubwürdigkeit betrifft, so haben Sie ja jede Menge Platz, um die zu verstecken, wenn ich Sie so ansehe.«
»Sie suchen also nach den Leuten, die hier einen Stützpunkt hatten?«, fragte Julianne.
»Nein, ich suche nach einem ganz bestimmten Kerl. Dem Anführer.«
»Ha!«, rief Rhino aus. »Hab ich’s doch gewusst.«
»Also gut, hören Sie, ich weiß ja nicht, ob das was bringt«, sagte Julianne. »Aber wir sahen ein paar von diesen Typen aus Saks an der
Weitere Kostenlose Bücher