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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Bilderrahmen. Dieses Porträt zeigte darüber hinaus die Hand einer anderen, fremden Person, die auf seiner Schulter ruhte. Das Photo war so zurechtgeschnitten worden, daß diese andere Person, mit Sicherheit weiblich, nicht mehr darauf zu sehen war. In ihrer kleinen Küche mit dem winzigen Gasherd und dem Babykühlschrank stellte Miss Higg eine Korkpinnwand aus, auf der weitere Zeitungsausschnitte über ihre Fernsehhelden gezeigt wurden. Auf einer ihrer magnolienfarbenen Wände befand sich ein rechteckiger Flecken, wo einmal ein Photo gehangen hatte. Dieses Photo stammte aus Miss Higgs ureigenem und ehemals sehr realem Leben. Es war das Paßphoto eines krank aussehenden Mannes: Alec Magnitt, der frühere Bewohner von Wohnung 19. Verstorben. Auf der Rückseite des Photos befand sich eine Aufschrift: Claire, Claire, ich liebe dich so sehr. Unterzeichnet mit: A. Magnitt, Wohnung 19, Das Observatorium. Doch das Photo war nicht mehr da (Position 770).
    An diesem besonderen Abend, Miss Higgs Sendung war zu Ende, und die Nachrichten fingen gerade an, ein Ärgernis, das sie sich niemals ansah oder anhörte, drehte Miss Higg die Lautstärke ihres Fernsehers herunter und hörte ein Klopfen an ihrer Tür. Ein außerplanmäßiges Programm ah Ersatz für die Neun-Uhr-Nachrichten Wer? fragte sie sich.
    Ich bin es, Peter, kam die Antwort. Peter und Francis Orme.
    Sie seufzte, in Gedanken war sie immer noch bei anderen Wesen, anderen wunderschönen, sonnengoldenen Geschöpfen, die von Liebe und Dollars sprachen. Wir waren nicht Teil ihres wunderbaren Lebens. Ich hatte eine geschwollene Unterlippe, Peter eine Glatze. Er heulte ständig und schwitzte. Unsere Haut war blaß. Wir besaßen nur wenig Geld. Im günstigsten Fall hätten wir Statisten sein können, Staffage für Massenszenen, immer schön im Hintergrund. Aber an diesem Abend waren wir vorgetreten und drohten damit, uns direkt vor das Auge des Betrachters zu schieben. Und Miss Higgs Augen waren ausschließlich auf Schönheit justiert. Sich aus dieser geistigen Verfassung zu lösen, erforderte ein wenig Konzentration. Sie würde sich einreden müssen, daß wir Figuren aus dem Fernsehen und die Figuren aus dem Fernsehen Menschen waren. Sie würde sich einreden müssen, daß sie den Kanal gewechselt hatte und nun vermutlich bei einer Dokumentation hängengeblieben war oder bei einem billig produzierten Schwarzweißfilm, der einzig und allein von nichtschönen Menschen ohne Sonnenbräune und Geld handelte. Sie würde sich einreden müssen, daß die Schauspielerin, die im Begriff stand, die Rolle der Miss Claire Higg zu spielen, absolut nichts mit ihr zu tun hatte. Die Namensgleichheit war reiner Zufall. Die wirkliche Miss Claire Higg befand sich an einem Strand, Ozeane weit entfernt. Wieviel Überzeugungsarbeit würde dafür nötig sein?
    Ich bin beschäftigt.
    Es ist neun Uhr. Die Nachrichten sind dran. Ich sehe die Nachrichten.
    Sie sehen doch nie die Nachrichten. Ich habe Besuch.
    Ja, aber im Augenblick auf der falschen Seite Ihrer Tür. Ihr könnt nicht lange bleiben. Wir werden nicht lange bleiben. Nicht länger als eine halbe Stunde.
    Wir wissen, daß die Nachrichten nur eine halbe Stunde dauern. Kommt rein. Setzt euch. Ich hole euch einen Martini.
    Miss Higgs Martini schmeckte eher nach Tee. Sie saß in ihrem Lieblingssessel, und während wir redeten, rieb sie ihr Gesicht und die Arme mit Sonnencreme ein. Sie war immer noch im Nachthemd, sie trug nur höchst selten etwas anderes, hatte sie doch keinerlei Veranlassung, sich vor die Tür zu begeben, da es dort nichts für sie gab. Peter Bugg erledigte ihre Einkäufe. Auf ihrer Einkaufsliste fand sich nicht selten ein eigenartiger Artikel: Sonnenschutzcreme, ein Bikini, ein Champagnerglas, eine rote Rose. Diese Wünsche lauerten versteckt zwischen Teebeuteln, Currysuppe, Thunfischstücken und Haftcreme für dritte Zähne. Gelegentlich verließ sie sogar selbst das Haus, allerdings nur, wenn es zu Stromausfällen kam. Wenn der Strom ausfiel, gingen Peter Bugg und ich immer schnurstracks in ihre Wohnung. Dort trafen wir sie dann völlig aufgelöst an. Wir steckten sie in ihren Mantel, jeder nahm einen Arm, und wir begleiteten sie nach unten. Zeit für Ihren Spaziergang, sagten wir bei solchen Gelegenheiten. Alle sind gestorben, sagte sie. Sie sind nicht gestorben, sagten wir, sie werden bald wieder zurück sein, es ist nur Zeit für ein bißchen frische Luft. Dann lächelte sie. Ihr seid meine Kavaliere, untersteht euch, mich

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