Das verlorene Observatorium
bereiten, nicht nur um die Sicherheit ihres Hab und Guts, das wir ja an andere Stellen räumten, sondern auch um die Sicherheit ihrer eigenen Person, die wir jedoch keinesfalls anrühren würden. Die Gegenstände eines Menschen definieren seine Identität, jede Person ordnet sie bei sich zu Hause gemäß ihrer jeweiligen Vorlieben an. Wenn die Gegenstände einer Person von einer unsichtbaren Macht umgeräumt werden, dann kann es dieser Person vorkommen, als spiele man mit ihrer Seele, als mache sich jemand an ihrem Innersten zu schaffen.
Wenn alle Fenster von Wohnung 18 verschlossen waren, sollte Peter Bugg versuchen, eines aufzubrechen. Wenn aber dies nicht möglich war, sollte er vorsichtig eine Glasscheibe einschlagen. Aber er, der arme Bugg, vor Nervosität schwitzend und heulend, fragte sich, ob er nicht der falsche Mann für diese Aufgabe war und ob er nicht vielleicht etwas anderes tun könnte. Was würde passieren, wenn die Polizei ins Spiel käme, fügte er hinzu, würde er doch mit Sicherheit überall seine Fingerabdrücke hinterlassen haben. Ich sagte ihm, er solle Handschuhe tragen. Der arme Bugg besaß keine, also borgte ich ihm ein Paar rosafarbene Gummihandschuhe. Diese trug ich immer über meinen weißen Handschuhen, wenn ich den Abwasch machte. Es ist schon fast halb zehn. Gute Nacht, Miss Higg. Gute Nacht, Francis Orme. Gute Nacht, Claire. Gute Nacht, Peter.
Und ein wenig später...
Gute Nacht, Francis. Gute Nacht, Sir.
Handschuh-Tagebuch
Es wirkte beruhigend, wieder in meinem Schlafzimmer zu sein. Nachdem wir nun beschlossen hatten, etwas zu unternehmen, würde schon bald wieder alles in Ordnung kommen, dachte ich. Die Bedrohung würde vorüberziehen, und wir würden wieder ein stilles Völkchen sein. Niemand würde dem Observatorium seinen Frieden stehlen, niemand würde unser Leben verändern, niemand würde in Wohnung 6 eindringen. Ich schaute mich in meinem Zimmer um und das, was ich sah, beruhigte mich.
Am Fußende meines Bettes standen drei Kästen aus Holz. Die Kästen hatten alle dieselbe Größe. Sie waren nach meinen Wünschen von einem Schreiner angefertigt worden. Etwa zwanzig auf fünfunddreißig Zentimeter im Quadrat und knapp acht Zentimeter hoch. In allen drei Kästen befanden sich zwei senkrechte, anderthalb Zentimeter starke Leisten, die den Innenraum in drei absolut gleiche Teile gliederten. Zwei dieser Kästen waren bereits gefüllt. Sie enthielten meine Handschuhe. Meine alten, gebrauchten Handschuhe. Beide volle Kästen zusammen enthielten insgesamt sechshundert Paar Handschuhe, zweihundert in jedem der Fächer. Das dritte Fach des dritten Kastens füllte ich derzeit. Der dritte Kasten würde in einer Zeitspanne von dreiundzwanzig Paaren gefüllt sein. Zwischen jedes Handschuhpaar legte ich ein Blatt Pergamentpapier und notierte auf einem kleinen Schnipsel Aquarellpapier, fünf mal fünf Zentimeter groß, das Datum, an dem ich begonnen hatte, die Handschuhe zu tragen, sowie das Datum der letzten Benutzung. Dies war mein Handschuh-Tagebuch. Durch die Daten auf jedem Stück Aquarellpapier und die jeweiligen Schulhefte (die numerisch geordnet in Reihen unter dem Bett standen) war es mir jederzeit möglich, in Erfahrung zu bringen, was mich veranlaßt hatte, sie nicht mehr zu tragen. Ich erlaubte mir niemals, Handschuhe zu tragen, die auch nur im entferntesten schmutzig waren, da meine Hände stets tadellos weiß sein mußten.
Die neue Bewohnerin sollte am Folgetag ermuntert werden auszuziehen. Alles würde wieder sein, wie es war. Niemand würde mein Handschuh-Tagebuch berühren.
Mutter betrachten
Mutters Schlafzimmer war schon immer ein Schlafzimmer gewesen, es war ein Schlafzimmer, als das Observatorium noch ein Landsitz war. Es hatte eine altmodische, purpurfarbene Velourstapete, die über sechzig Jahre lang ungestört die Wände geschmückt hatte. Das Schlafzimmer meiner Mutter enthielt eine Mutter, ein Bett, Bücher, Gemälde, Photographien, Hüte, Schuhe, Spiegel, Schlüpfer, Büstenhalter, Illustrierte, Grammophonplatten, leere Flaschen, Schirme, gepreßte Blumen, Teetassen, Sherry gläser, eine Herrenarmbanduhr, einen Gehstock, einen Abakus und noch viele weitere Dinge. Die Vorhänge in Mutters Schlafzimmer waren immer geschlossen, Tag wie Nacht. Auf einem kleinen Teaktischchen stand ein Nachtlicht aus Porzellan, das für Kleinkinder gedacht war. Das Nachtlicht, das niemals ausgeschaltet wurde, hatte die Form eines Champignons, der innen hohl war und ein kleines
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