Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
alltäglichen Dienste zur Verfügung zu stellen. Feiertage inbegriffen. Er kam nie zu spät, er machte Überstunden, er war seiner Arbeit treu ergeben. Worin bestand seine Arbeit, was war sein Handwerkszeug? Er benötigte lediglich ein einziges Werkzeug, um sich sein spärliches Einkommen zu verdienen. Er stand mit großem Stolz dahinter. Er war, glaube ich, der einzige Mann in der Stadt, der auf diese Weise arbeitete. Er war ein Original. Sein Handwerkszeug war eine Personenwaage. Für zwei Münzen konnte man sich das Vergnügen erlauben, sein Gewicht in Pfund zu erfahren. Ich trat auf die Waage, ich trat von der Waage. Ich gab dem Mann zwei Münzen, wie ich es immer einmal wöchentlich machte, und stets an diesem Wochentag. Der Mann, seinen Namen erfuhr ich nie, hatte seine Arbeit schon vor Jahren aufgenommen. Es war ein ungewöhnliches Unternehmen, den Menschen eine Personenwaage zur Verfügung zu stellen. Zunächst hatte er nur wenige Kunden. Dies ist vielleicht nicht weiter erstaunlich. Personenwaagen sind durchaus weitverbreitete Gegenstände. Aber er blieb auf seinem Posten. Seine Anwesenheit wurde zur Kenntnis genommen. Man hielt ihn mit einer gewissen Zuneigung für einen liebenswürdigen Idioten und seine Kundenliste wuchs. Hauptsächlich waren es alte Frauen, manchmal auch junge Männer, die es amüsant fanden, sich zu wiegen. Zu seiner Kundschaft zählten nie junge Frauen. Ich hatte ihn noch nie sprechen hören, erforderte das Verfahren doch keine Worte, und dies wußte ich zu schätzen.
    Der Mann notierte das Gewicht eines jeden Kunden in ein kleines Notizbuch. Den Grund dafür kenne ich nicht. Ich fragte ihn nie nach dem Grund. Er führte eine Chronik über das Gewicht aller Menschen, das war sein Geschäft. Vielleicht waren ihm bestimmte Tendenzen hinsichtlich Korpulenz oder Schlankheit aufgefallen. Vielleicht errechnete er das Durchschnittsgewicht einer gewissen Körpergröße. Oder eines gewissen Alters. Oder Geschlechts. Vielleicht wollte er auch einfach nur unter Menschen sein. (Einmal hatte er sein Gewichtsnotizbuch offenbar verlegt. Äußerst verwirrt ließ er für zwei Wochen seinen Posten unbesetzt. Schließlich jedoch kaufte er sich ein neues Notizbuch und kehrte an seinen Arbeitsplatz zurück. (Position 644.)
    Mein Gewicht wurde aufgezeichnet, genau wie es jede Woche auf die gleiche Art aufgezeichnet wurde. Es war Routine. Er bemerkte mich, als ich das Observatorium verließ. Ich lächelte ihn an, er lächelte von seinem Platz hinter der Waage zurück. Dann flitzte ich über die Straße und ging zu ihm.
    Ich erkundigte mich nie nach seiner Waage oder nach seinem Notizbuch. Er erkundigte sich nie nach meinen Handschuhen. Wir kommunizierten mit Lächeln. Einmal wöchentlich. Da es mein freier Tag war, ging ich weiter und setzte mich in den Park.
Liebe und Haß in Tearsham Park Gardens
    1. LIEBE. Ich liebte Tearsham Park Gardens wegen seiner wunderschönen weißen, traurigen Bäume, die aufgrund der Umweltverschmutzung ihre Rinde verloren hatten und von jungen Vandalen mit ihren verschwitzten Vergrößerungsgläsern signiert worden waren. Irgendwer liebt irgendwen, irgendwer liebt eine Fußballmannschaft, irgendwer brennt obszöne Buchstaben ein, ein anderer schnitzt mit einem Messer.
    Ich liebte diesen Park wegen des Paares, das an diesem Tag an mir vorbeikam: ein alter Mann mit seinem Enkel, der vor ihm auf einem Dreirad fuhr. Der alte Mann ging langsam, sehr langsam (wir haben Zeit, heute haben wir viel Zeit) von einem Ende des Parks zum anderen. Der Enkel sollte sich eigentlich am Tempo seines Großvaters orientieren, aber er war immer mindestens zwei Meter voraus. Der kleine Junge hielt an, um ein Liebespaar zu beobachten, das sich auf einer Bank küßte. Der Großvater blieb stehen und schaute ebenfalls zu. Schließlich gingen sie weiter, wenn auch nicht zur gleichen Zeit und nicht im gleichen Tempo.
    In der Mitte des Parks gab es einen betonierten Platz. Seine Bodenplatten waren uneben, und in seiner Mitte befand sich ein rostiger Springbrunnen. Ich kann mich nicht erinnern, den Brunnen je in Betrieb gesehen zu haben. Er war schon immer trocken gewesen, es sei denn, es regnete, und wenn es regnete, lief er über. Ich nannte ihn Brunnen aus Optimismus, vielleicht aber auch aus Mitleid. Neben dem rostenden Brunnen, dem es an Wasser und Wertschätzung mangelte, saß ein schönes Mädchen. Wann immer ich ein schönes Mädchen sah, dachte ich daran, was für mich das Beste war.
    Höchstens

Weitere Kostenlose Bücher