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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Weg zum Zimmer meiner Mutter fort. Nachdem es ihm schließlich gelungen war, die Tür von Mutters Zimmer zu öffnen, schob er sich und seinen neuen Stuhl auf Mutters Bett zu. Alice, Alice. Ich glaube, meine Mutter war wach. Ich sah, wie sich die Augen unter ihren Lidern bewegten. Aber sie rührte sich nicht. Alice, Alice. Sie hingegen rief ihren Mann nicht: Francis, Francis. Francis senior. Mein lieber alter Vater manövrierte seinen Stuhl so, daß er Mutters Bett berührte. Mit einem nachgerade kühnen Manöver gelang es Vater, sich auf Mutters Bett zu wuchten. Er streckte sich neben Mutter aus, aber er berührte sie nicht. Er sagte noch einmal: Alice, Alice. Dann verrenkte er den Kopf, um ihre sanftmütige Gestalt anzusehen, und raunte:
    Alice, Alice. Wir brauchen einen neuen Francis Orme. Alice, Alice. Ich glaube nicht, daß der jetzige noch lange hält. Alice, Alice, Orion, Kassiopeia.
    Unter Mutters Lidern hatten sich Tränen gebildet und diese bahnten sich nun gewaltsam ihren Weg hinaus und rollten eilig die welken Wangen hinab.
    Bevor ich in mein eigenes Zimmer zu meinem traumlosen Schlaf zurückkehrte, setzte ich mich eine Weile auf den Stuhl am Bett meiner Mutter und beobachtete, wie Vater die Augen schloß und ruhiger atmete. Vaters Kinnlade bewegte sich malmend. Früher hatten Vaters ruhig und friedlich verbrachte Tage ein Gegengewicht im heftigen Zähneknirschen während der Nacht. Es war ein schreckliches Geräusch. Wir fragten uns, was wohl in Vaters Gehirn vor sich gehen mochte, daß er so aufgeregt mit den Zähnen knirschte. Meine Mutter haßte dieses Geräusch, sie konnte nicht einschlafen in jenen Nächten, wenn sie in einem Bett schliefen. Sie brüllte Vater dann an und befahl ihm, seine Zähne im Zaum zu halten. Vater, geweckt und wieder sanftmütig, sah dann aus, als wäre er am Boden zerstört und versicherte ihr mit tränenfeuchten Augen, solche Geräusche überhaupt nicht machen zu können, meine Mutter solle endlich aufhören, ihn zu tyrannisieren. Also kaufte Mutter ein Diktiergerät, zeichnete eines Nachts Vaters Zähneknirschen auf und spielte es ihm am folgenden Morgen vor. Vater schien schockiert, konnte nicht verstehen, warum sein Körper, der doch den ganzen Tag über so höflich und sanft war, nachts solche bedrohlichen und unerfreulichen Geräusche von sich gab. Er gelangte zu dem Schluß, daß er seinem Körper nicht vertrauen konnte, wenn dieser ihn nachts so verriet. Er wartete geduldig darauf, daß sein Körper dreister wurde bei seinem heimlichen
    Verrat, er wartete darauf, daß sein Körper eine Reise antrat, vielleicht nicht weiter als zum Park, obwohl der Verstand es ihm streng verboten hatte. Eines Tages brachte der Körper meines Vaters meinen Vater dann tatsächlich in den Park. Vater setzte das einzige ihm noch verbliebene Mittel ein, um seinem Körper eine Niederlage beizubringen. Vater beobachtete die Menschen in seiner Nähe, Vater hörte Geräusche, Vater fiel von der Parkbank. Vater ließ sich einen Schlaganfall bekommen. Seitdem hing das untere Lid seines linken Auges leicht herab und ließ die rosa Innenseite erkennen, ein Andenken an die Schlacht zwischen Vaters Körper und Vaters Verstand. Doch dies alles lag weit zurück, in einer anderen Zeit, als Vater noch Zähne hatte zum Knirschen und nicht nur Zahnfleisch.
    Als Vater schlief und Mutters Tränen getrocknet waren, dachte ich, daß es einen Ausdruck für das gab, was in dieser Nacht geschehen war: ein Familientreffen.
Frühstück mit Mutter und Vater
    In dieser Nacht passierte noch mehr, wie ich herausfand, als ich am nächsten Morgen aufwachte. Ich war in der Küche und bereitete das Frühstück vor, als mich das Gefühl beschlich, beobachtet zu werden. In diesem berühmten roten Ledersessel saß ein älterer Mensch. Aber es war nicht Vater. Sondern Mutter. Meine Mutter. Mutters Augen waren geöffnet, Mutter schaute mich direkt an.
    Mutter!
    Guten Morgen, Francis.
    Mutter!
    Wo ist das Frühstück?
    Im Anmarsch, im Anmarsch.
    Hast du gut geschlafen, Francis?
    Ja, danke.
    Ich bin ja so froh.
    Und du, Mutter, hast du auch gut geschlafen?
    Ich habe überhaupt nicht geschlafen. In meinem Bett liegt ein fremder Mann.
    Wir frühstückten zusammen am Eßzimmertisch. Dies hatten wir seit Jahren nicht mehr getan. Beim Essen sprachen wir nicht. Als Mutter mich lange genug beim Abwasch beobachtet hatte (ich trug die rosa Gummihandschuhe), teilte sie mir ihre Absicht mit, sich anziehen zu wollen, ihre Nachtbekleidung

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