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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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aller Unternehmungen meines Vaters, das Leben zu analysieren. Sie ergaben sich nicht einfach im Verlauf einer bestimmten Nacht, sie erforderten vielmehr viele Monate der Planung und als es schließlich soweit war, sollten sie das Leben meines Vaters für immer verändern (und uns später einen Namen für unser neues Zuhause geben, das eigentlich unser altes Zuhause unter einem anderen Namen war). Vater hatte einen Feldstecher gefunden, und mit diesem vor Augen saß er immer in seinem bequemen Bibliothekssessel (rot, Leder) und beobachtete, wie die Außenwelt sich ihm näherte - weit entfernte Bäume schleuderten ihm jäh ihre riesigen Stämme entgegen. Während dieser Zeit sah sich Vater in der Größe von Bäumen. Mit weiten, bedächtigen Schritten ging er immer um Tearsham Park herum spazieren. Eines Abends war Vater in seinem Arbeitszimmer so tief in die Betrachtung einiger Rotbuchen versunken, daß er sie bis Einbruch der Dunkelheit durch sein Fernglas studierte. Vater strengte seine Augen an, aber die Bilder der Bäume waren verblichen. Er trat ans Fenster, immer noch durch sein Fernglas schauend, als die Linsen plötzlich den Nachthimmel einfingen. Er sah den Mond, er sah die Sterne. Das genügte Vater, und so fing es an. Mit einem Mal wurde Vater so groß, daß er nicht einmal mehr in die Bibliothek paßte, auch nicht in Tearsham Park oder in unser Land, Vater war plötzlich so groß wie die Welt. In einem einzigen winzigen Augenblick hatte ihn sein phänomenales Hirn in einen Planeten verwandelt. Vater ließ sich dazu herab, noch einmal vorübergehend unsere Größe anzunehmen, und erstand ein Teleskop. Aus diesem kleinen, wenig bemerkenswerten Teleskop entstand die Idee des Observatoriums. Schon sehr bald ließ Vater auf Kosten des Ormeschen Vermögens die Dachkuppel umbauen. Das grüne Kupferdach wurde entfernt, ein Metallrahmen wurde sorgsam hochgezogen, Glassegmente wurden eingesetzt, eines davon mit einem Scharnier, damit es geöffnet werden und ein neu erworbenes und außergewöhnlich starkes Teleskop hinausschauen konnte.
Mein Vater in Relation zum Universum
    Vater verbrachte seine Tage mit dem Studium astronomischer Karten und spielte mit Modellen der Planeten. Sagte, er wolle seine Nachbarn kennenlernen. Er freundete sich mit allen Sternen an, nannten sie beim Namen, hüpfte die ganze Nacht von Stern zu Stern und konnte sich erst wieder losreißen, wenn die Sonne herauskam, um ihm den Spaß zu verderben. Vater kannte das Universum.
    So sehr er auch mit sich kämpfen mochte, Vater war an jenem ersten Abend seiner stimmlichen Rückkehr noch nicht in der Lage, etwas anderes als die Namen der Sterne herauszubringen. Vergeblich versuchte er, aus seinem Sessel zu kommen, aber der Sessel war nicht willens, ihn freizugeben. Wir wuchteten ihn hoch, Miss Tap und ich und halfen ihm behutsam, im größten Zimmer von Wohnung 6 auf und ab zu gehen. Doch schon bald setzten wir ihn erschöpft wieder ab. Er schloß die Augen, und sofort flogen seine Gedanken hinauf in den Kosmos. Wahrend ich zuschaute, wie Vaters Augen sich schlossen, begriff ich, was ihn wieder zu uns zurückgebracht hatte. Seine normalerweise so abwesenden Augen hatten sich plötzlich auf die stark vergrößerten Augen von Anna Tap gerichtet. Konkave Linsen ließen Vater lebendig werden. Mein Vater war immer schon ein Freund von Linsen gewesen.
Ein Familientreffen
    In der Nacht, die auf Vaters neuerliche Kenntnisnahme seiner einstigen Kameraden, der Sterne, folgte, schlief ich schlecht. Vaters Atmen störte meinen Schlaf, oder besser gesagt das, was ich zunächst für Vaters Atmen hielt und was tatsächlich, wie ich später begriff, Vater war, der wieder und immer wieder ein Won rief. Er sagte: Alice. Alice. Alice.
    Ich verließ mein Schlafzimmer und fand Vater auf einem Stuhl sitzend vor. Irgendwie war es ihm ohne Hilfe gelungen, sich aus seinem roten Ledersessel zu ziehen, der ihn so viele Jahre erbarmungslos gefangengehalten hatte. Vater bewegte seine neue Sitzgelegenheit langsam nach vorne. Mit der Ernsthaftigkeit einer Schnecke war er unterwegs in Richtung Korridor. Ich stand unbemerkt da und beobachtete ihn. Nicht einmal als ich sagte, Vater, ist mit dir alles in Ordnung? schaute er auf. Seine ganze Konzentration war ausschließlich darauf gerichtet, sich und seinen Stuhl vorwärts zu bewegen. Und während er sich im Rhythmus seiner Atemzüge bewegte, rief er mit schwacher Stimme: Alice, Alice. Nach Erreichen des Korridors setzte er seinen

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