Das verlorene Observatorium
heimkehrte, fand ich ein Photo von mir als Kind, auf dem ich zwei Mäuse in meinen Händen hielt. Meine Hände waren weiß auf diesem Photo. Ich hatte sie weiß angemalt. Die Mäuse lebten und starben, bevor ich Handschuhe trug, und nachdem ich anfing, Handschuhe zu tragen, suchte ich alle Photos heraus, die je von mir gemacht worden waren, und malte meine photographierten Hände weiß. Unter dem Bild, das Miss Tap aus dem Zimmer meiner Mutter genommen und auf den Eßzimmertisch gelegt hatte, befand sich ein Zettel, auf dem zu lesen stand:
Warum?
Am gleichen Tag, als ich das Photo an seinen angestammten Platz zurückbrachte, überwand meine Mutter erstaunlicherweise die Barriere des Schweigens, verließ für einen kurzen Augenblick die Tage ihrer Erinnerung:
Francis?
Mutter!
Francis, ich möchte dieses Mädchen hier nicht sehen. Sorge dafür, daß sie draußen bleibt.
Dann schloss sie sich wieder ein. Ich hinterließ einen Zettel an derselben Stelle, wo der Warum-Zettel hinterlegt worden war (diesen Zettel bewahrte ich auf). Ich schrieb:
Betreten Sie auf keinen Fall noch einmal das Zimmer meiner Mutter.
Danach gab es, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, keine weiteren Zettel mehr von Miss Tap. Es herrschte wieder Stille. Die einzigen Geräusche, die wir hörten, abgesehen von den Bewegungen unserer einsamen Körper, waren jene aus dem Fernseher auf der dritten Etage. Aber diese Lärmquelle ist dafür ausgelegt, uns stillzuhalten. Wochen verstrichen. Wir beobachteten unsere Uhren. Anders als die Zeit der Erinnerungen führte die Zeit der Stille exakt Buch über die Zeit, denn wir wußten immer, welcher Monat es war, welche Stunde es war, und normalerweise auch, welche Minute es war. Die Zeit der Stille dauerte einen Monat, drei Tage und vierzehn Stunden. Sie wurde eines Tages jäh aus einer höchst unvorhersehbaren Ecke beendet. Ich arbeitete gerade, stand still und bewegungslos auf meinem Sockel. Eine Münze fiel in meine Schachtel. Ich öffnete die Augen, um Anna Tap vor mir zu sehen mit einem Blatt Papier in den Händen, auf dem stand:
Ihr Vater hat zu sprechen begonnen.
An diesem Tag ging ich früher nach Hause.
Vaters erste Worte
Natürlich konnte ich Miss Taps Nachricht zunächst nicht glauben, doch dann, nach ausgiebigem Nachdenken, hielt ich es durchaus für möglich, daß Vater genau jetzt, eher noch als zu jedem anderen Zeitpunkt, begonnen hatte zu sprechen. Ganz sicher hatte die Zeit der Stille ihn dazu verleitet. Nur während der Zeit der Stille konnte Vater aus der Reserve gelockt werden, sein Hirn soweit entspannen, daß ein Gedanke eindringen konnte. Der Gedanke, vermutlich liegengeblieben aus der Zeit der Erinnerungen, mußte sich durch ein Nasenloch meines Vaters hochgearbeitet und in seinem Gehirn niedergelassen haben. Vater befand sich während der Zeit der Stille immer im Frieden, war aber anschließend sehr verletzlich. Ein Gedanke befand sich in seinem Gehirn, flog die Korridore entlang, und seine Bewegungen hatten ihm den Mund geöffnet.
Vater sprach mich, als ich mit Miss Tap früher als üblich von der Arbeit nach Hause kam, nicht mit Namen an. Er sah mich überhaupt nicht an. Miss Tap hatte mir auf der Heimfahrt erzählt (womit sie das Schweigen zwischen uns für immer brach), daß mein Vater nur so viel gesagt hatte: Wagen. Wieder und immer wieder. Sie glaubte, er würde damit auf seine automobile Vergangenheit anspielen, als das Observatorium noch Tearsham Park hieß. Sie irrte sich. Es war allerdings ein gutes Zeichen. Ich setzte mich vor Vater. Er lächelte. Er sprach, besser: Er murmelte. Die ersten paar Tage hörten wir nichts anderes von ihm als ängstliche, kaum hörbare Worte. Aber es waren Worte, da waren wir uns sicher. Vater sprach wieder. An diesem ersten Tag flüsterte er:
Wagen. Der Wagen der. Wagen. Der, der, Hallo, Vater. Der Wagen. Ich bin es, Francis. Wagen. Wagen.
Und dann ist da noch Orion, Vater. Orion, ja. Orion. Wie geht es dir? Gut, Vater.
Wie geht es dir, Orion? Orion, der Wagen, Die Plejaden. Die Plejaden! Andromeda. Der große Bär, Ursa Major!
Der Schütze.
Kassiopeia!
Perseus.
Sirius, der Hundsstern. Oh, toll.
Mein Vater erinnerte sich an die Namen von Sternen oder Sternbildern. Und indem er sich an sie erinnerte, meinte ich, er sähe sich wieder in seinem Observatorium. Die Observatoriumsnächte oder die Zeit von Vaters Größtem Glück wurden von meinem Vater in völliger Abgeschiedenheit vorn Rest der Menschheit mit einer ausgiebigen
Weitere Kostenlose Bücher