Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
Geburt.
Sternenströmer wich nicht von ihrer Seite. Aber weder
er noch die drei anwesenden Priesterinnen vermochten
viel auszurichten, um ihre Not zu lindern.
Die Zwillinge schienen fest entschlossen zu sein, so
rasch wie möglich dem Leib ihrer Mutter zu entkommen.
Der Knabe führte das Paar an, und nichts, was Sternenströmer ihnen sagte, konnte die Geschwister aufhalten.
Anders als die meisten ikarischen Kinder hatten diese
beiden keine Angst vor der Geburt. Solche Ungeduld
hatte sie ergriffen, daß sie gar nicht darüber nachdenken
mochten – oder wollten –, welchen Schaden sie damit
ihrer Mutter zufügten.
Als wenn ihnen das vielleicht früher schon einmal
etwas ausgemacht hätte.
In der letzten halben Stunde lag die junge Frau erschöpft
und barmherzigerweise ohne Bewußtsein da, und ihr
Schwiegervater stellte seine fruchtlosen Bemühungen ein,
freundlich die Zwillinge um Erbarmen für ihre Mutter zu
bitten. Dafür richtete er nun seine ganze Energie auf
Aschure.
Irgendwann drehte er sich dann zur Ersten um: »Bei
den Göttern, Herrin, was können wir nur tun?«
»Beten, Sternenströmer«, antwortete die Priesterin leise.
»Betet darum, daß die Zwillinge sich bald selbst zur Welt
bringen. Viel kann die junge Frau nicht mehr ertragen.«
»Steht es so schlimm um sie?« ächzte der Zauberer
und starrte dann wieder seine Schwiegertochter an. Ihr
Atem ging flach und ihre feuchte Haut hatte eine
ungesunde bleiche Färbung angenommen.
»Sie besitzt nur noch wenig Kraft«, fuhr die Priesterin
fort. »Und ich fürchte, sie hat ihren Lebenswillen
verloren. Wie konnte das geschehen?«
Sternenströmer berichtete ihr, wie sie und er Axis’
Tod gespürt hatten.
Die heiligen Frauen warfen sich bestürzte Blicke zu,
aber sie hatten keine Zeit, den Tod des Sternenmannes zu
beweinen. Nicht, solange das Leben der Heiligen Tochter
selbst sich dem Ende zuzuneigen schien.
Der Zauberer beugte sich über seine Schwiegertochter
und nahm ihr müdes, blasses Gesicht in seine Hände.
»Lebt, Aschure. Ich könnte es nicht ertragen, Euch auch
noch zu verlieren …«
Und so zog sich die quälende Geburt weiter hin. Die
Priesterinnen dachten nur selten und nur kurz an die
Zwillinge, die aus diesem Leib hinauswollten, denn die
Mutter erschien ihnen weitaus wichtiger.
Als die Kinder endlich aus dem Leib hinausglitten,
setzten bei Aschure größere Blutungen ein, und sie wäre
den Priesterinnen beinahe unter der Hand weggestorben.
Bevor die Erste den Mutterleib dazu bewegen konnte,
sich zusammenzuziehen und so den Fluß zurückzuhalten,
waren sie und Sternenströmer von oben bis unten mit
Blut bespritzt.
Den beiden jüngeren Priesterinnen blieb es vorbehalten, die Zwillinge zu waschen und zu wickeln. Die
Kleinen wirkten munter und lebhaft und schienen stolz
darauf zu sein, es aus eigener Kraft hinein in die Welt
geschafft zu haben. Aber an ihre Mutter und ihren
Todeskampf verschwendeten sie nicht einen Gedanken.
Erst spät in der Nacht, ungefähr fünf Stunden nach
dem endlosen Geburtskampf, konnte die Erste Sternenströmer mitteilen, daß Aschure womöglich überleben
würde.
»Wenn sie sich kein Fieber oder eine Infektion zuzieht«, erklärte die Priesterin, »und wenn sie ihren
Lebenswillen wiederfindet.«
Der Zauberer wandte den Blick vom Gesicht seiner
Schwiegertochter. »Wenn es ihr an dem gebricht, Erste,
dann werde ich ihr meinen Lebenswillen einflößen. Ich
lasse nicht zu, daß sie stirbt!«
Die Priesterin sah ihn sehr lange an, dann nickte sie
und entfernte sich leise, um die beiden allein zu lassen.
Die Zeit allein würde eine Antwort für sie finden.
28 K RIEGSRAT AUF EINEM
H
ÜGEL
Timozel stand immer noch auf seinem Hügel und
verfolgte den Rückzug von Axis’ Armee in Richtung
Süden. Es war nur noch ein kläglicher Haufen. Der
Jüngling kochte vor Zorn.
Großmächtiger Fürst, wir könnten sie wirklich zerquetschen!
Gorgrael lief in seiner Eisfeste auf und ab und wieder
auf und ab. Trotzdem will ich, daß Ihr tut, was ich verlange.
Der Feldherr verkrampfte sich in dem Bemühen, sich
zu beherrschen. Aber wie sollte er Verständnis für die
ausgemachte Dummheit des Zerstörers aufbringen?
Herr, binnen eines Tages könnte ich den Feind restlos
vernichten. Allerspätestens innerhalb von zweien. Wenn
der Morgen graut, könnte ich die Eiswürmer schon über
den Strom schicken.
Nein, ich verlange, daß Ihr nach Norden zieht!
Gorgrael hatte es tief getroffen, daß der
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