Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
Timozel als auch Axis hatten ihr das Innere
beschrieben, und Faraday erkannte, daß die Burg sich ihr
vollkommen anders darbot als den Männern. Der riesige,
kreisrunde Raum wies bequeme weiche Sessel und Sofas
auf, und die Stoffe der Polster und Kissen waren mit
Edelsteinen besetzt; Tische und Stühle, Bücherschränke,
Truhen und Vitrinen bestanden aus kostbarem, bernsteinfarbenem Holz, Lampen und Kerzenleuchter aus
funkelnder Bronze, und überall verstreut lagen üppige
Seidendecken mit Goldbesatz und gemusterte Teppiche.
Auf einer Seite entdeckte sie ein Himmelbett mit einer
reich bestickten Decke sowie einem Stapel von Federkissen am Kopfende.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand
ein Küchenherd, dessen Glut leuchtete, und der Wasserkessel darauf begann eben zu pfeifen. Auf einem für eine
Person gedeckten Tisch lockte eine reiche Auswahl an
Speisen. In der Mitte des Raumes knisterte ein freundliches Feuer in einem runden Kamin mit einem kupfernen
Abzug darüber, durch den aller Rauch entwich. Seitlich
davon stand ein großer Kasten voller Pinienzapfen und
Knüppel von Apfelbäumen.
Faraday schritt mit vor Staunen weit aufgerissenen
Augen durch die Gemäuer der Burg. Sie fühlte sich hier
ganz und gar willkommen.
Eine Woche lang beherbergte und umsorgte die Burg
Faraday Sie erlebte eine Zeit der Heilung, in der sie ihren
Mut und ihre Stärke wiederfand. In der Nacht ihrer
Ankunft kroch Faraday gleich, nachdem sie gegessen
hatte, ins Bett. Sie fühlte sich so erschöpft, daß sie sich
nicht mit dem Entkleiden aufhalten mochte, und fiel für
beinahe achtzehn Stunden in tiefen Schlaf. Als die Edle
schließlich erwachte, stellte sie fest, daß sie ein warmes
Nachthemd und rosa Bettsocken trug, und der Kessel auf
dem Küchenherd summte. Daneben entdeckte Faraday
Rührei und Speck, warmgehalten in einer tiefen Pfanne.
Toast, Milch und goldene Butterstücke auf dicken
weißen Porzellantellern warteten ebenfalls auf sie.
Den Tag nach ihrer Ankunft verbrachte Faraday ausschließlich mit Essen und Schlafen – eine frische
Mahlzeit stand bereit, wann immer sie Lust darauf hatte –
, aber an den folgenden Tagen verbrachte sie viele
Stunden im Heiligen Hain und in Urs Waldschule.
Am achten Tag nun wollte Faraday in dem Luxus
schwelgen, den die Burg ihr bot. Vielleicht würde sie die
oberen Stockwerke erkunden und, falls das möglich war,
die alten Texte der Ikarier lesen, die Ogden und Veremund zufolge hier aufbewahrt wurden. Faraday wußte,
daß sie die Burg bald würde verlassen müssen. Inzwischen kannte sie die Namen fast aller Schößlinge in Urs
verzauberter Waldschule, und sobald sie sich den letzen
eingeprägt hatte, würde sie ihre Reise nach Osten
fortsetzen – und damit beginnen, der Welt einen Zauberwald zu schenken.
Aber jetzt schmiegte sie sich tiefer in ihren Sessel und
wackelte, entzückt von der Wärme, die das Feuer zu
ihren Füßen ausstrahlte, mit den Zehen. Sie nickte
langsam ein und vergaß beinahe, wo sie war.
Plötzlich blinzelte sie und wachte mit einem Ruck auf.
Sie konnte fühlen, daß Axis’ Liebste ihr sehr, sehr
nahe war.
»Aschure?« Faraday rieb sich den Schlaf aus den
Augen. »Aschure, seid Ihr das?«
Sie war zwar verwirrt, verspürte aber nicht die mindeste Angst.
Aschure fühlte sich zur Zeit beinahe ebenso niedergeschlagen wie Faraday bei ihrer Ankunft im Wald der
Schweigenden Frau, Sie bat Hesketh, den Hauptmann der
Palastgarde, sie über den See zum Narrenturm zu rudern.
Die junge Frau wünschte sich sehnlich, der höfischen
Etikette des Palastes von Karlon zu entkommen. Die
königlichen Gemächer, die ihr während der Zeit, die sie
dort mit Axis verbracht hatte, so schön und komfortabel
erschienen waren, wirkten jetzt verlassen und kalt ohne
ihn.
Sternenströmer war ihr ständiger Begleiter gewesen.
Abgesehen von Freierfall, der sich bereits auf der Insel
des Nebels und der Erinnerung aufhielt, war er der
ranghöchste der noch im südlichen Tencendor anwesenden Ikarier. Als solcher mußte er sich an vielen der
Beratungen und Sitzungen beteiligen, bei denen man
Pläne für den Umzug des Volkes der Ikarier nach Süden
machte. Als Großvater von Caelum und den ungeborenen
Zwillingen sowie als mächtiger Zauberer verbrachte er
viel Zeit mit der Ausbildung aller drei Kinder von Axis
und Aschure. Diese Stunden am Abend oder am frühen
Morgen, wenn er in das Jadezimmer kam und an
Aschures Seite Platz nahm, die Hand auf ihren
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