Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
erkannte die Euch innewohnende
Macht ebenfalls – kein Wunder, daß sie Euch für würdig
hielt. Hagens Tod bot ihr lediglich eine passende
Gelegenheit, Euch diese Anerkennung förmlich auszusprechen, und nicht der Grund dafür, warum sie Euch
annahm … oder warum wir Euch annehmen. Ihr verfügt
über ungeheure Macht, Aschure, und großes Mitgefühl.
Den Awaren habt Ihr geholfen, so wie Ihr Faraday
geholfen habt und auch fürderhin helfen werdet. Für all
das lieben wir Euch und heißen Euch von ganzem
Herzen im Heiligen Hain willkommen.«
Er gab Aschures Gesicht und Hand frei und nahm ihr
Caelum aus dem Arm: »Und Euer Sohn soll uns
ebenfalls willkommen sein. Seid gegrüßt, Caelum, und
mögen Eure Füße immer die Pfade zum Heiligen Hain
finden.«
Der Knabe, den tiefe Ehrfurcht, aber keinesfalls Angst
erfüllte, duldete die Umarmung des Silberpelzes und
überwand schließlich seine Scheu. Er stieß einen
neugierigen Finger in das Antlitz des Gehörnten, so daß
der Silberpelz das Gesicht abwenden mußte, um seine
Augen zu schützen.
»Caelum!« murmelte Aschure peinlich berührt.
Gleichzeitig wunderte sie sich über den Namen, mit dem
der Gehörnte den Ring der Zauberin bezeichnet hatte.
Was mochte er bedeuten? Und welchen »Kreis« vollendete sie? Die junge Frau öffnete den Mund, um zu
fragen, aber der Silberpelz kam ihr zuvor.
»In den Adern Eures Sohnes fließt Euer Blut, und Ihr
habt ihn zum Beltidenfest zum Klang des Erdbaumliedes
empfangen. Er wird über einen großen Teil Eurer Macht
verfügen und genauso mitfühlend sein wie Ihr. Aber,
meine Liebe …«
Der Ton seiner Stimme verhärtete sich. Aschure erblaßte angesichts dieser Veränderung, da sie sich daran
erinnerte, in welchem Ausmaß die Gehörnten Axis
geängstigt hatten, als er den Heiligen Hain zum ersten Mal
in einer Traumvision besuchte. Sie wurde der Tatsache
gewahr, daß diese Wesen mit dem Schnippen eines
Fingers und ohne große Umstände zu töten vermochten.
»Aschure, bringt diese Kinder, mit denen Ihr schwanger seid, niemals, niemals in diesen Hain. Ihre Füße sind
auf den heiligen Pfaden nicht willkommen.«
»Aber sie wurden ebenfalls während des Beltidenfestes gezeugt«, widersprach Aschure eher verängstigt und
verwirrt als verteidigend. Was war an ihren Zwillingen
nicht geheuer?
»Ihr habt sie weit entfernt von Awarinheim empfangen, und die beiden haben nicht Eure Wärme und Euer
Mitgefühl. Hütet Euch vor ihnen, Tochter, denn es mag
der Tag kommen, an dem sie Euch und den Euren großes
Leid zufügen werden.«
Sie sollte sich vor ihren eigenen Kindern hüten? Die
junge Frau erstarrte, ihr Gesicht verlor beinahe alle
Farbe, und ihre weit aufgerissenen Augen waren mit
einem Mal ganz dunkel. Faraday trat zu ihr und legte
eine Hand auf Aschures Arm.
»Ich will Euch jetzt einen Garten zeigen, Aschure«,
lächelte sie, »zwei Frauen warten dort, die Euch, wie ich
glaube, gerne kennenlernen möchten.«
Auf den Druck von Faradays Hand hin entfernte sich
Aschure ein paar Schritte, dann kehrte sie zu dem
Silberpelz zurück, der immer noch dastand und sie
beobachtete.
»Habt Dank für Eure Anerkennung«, sagte sie, nachdem sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. »Sie bedeutet
mir sehr viel.« Dann drehte sie sich um und folgte
Faraday.
Am späten Abend, eine ganze Weile, nachdem die Sonne
im Westen versunken war und ganz Karlon sich schon
voll Unruhe fragte, was aus ihr und Caelum geworden
sein mochte, schritt Aschure die Treppen vom Narrenturm hinunter. Hinter ihr schnüffelten die Alaunt, die
während ihrer Abwesenheit das Glück gehabt hatten, sich
in der Burg der Schweigenden Frau die Bäuche bis zum
Platzen füllen zu können.
Der Tag war von Wundern erfüllt gewesen. Faraday
hatte Wort gehalten und ihr ihre Freundschaft bewiesen.
Die Beziehung zwischen den beiden Frauen war gereift
und hatte sich noch mehr vertieft. Aschure hatte den
Heiligen Hain nicht nur besuchen dürfen, sondern war
dort auch mit aller Herzlichkeit aufgenommen worden.
Faraday hatte sie durch die dunklen Bäume geführt,
damit sie die verzauberte Welt entdecken konnte, die in
ihnen wohnte.
Welche andere Mutter durfte je beobachten, wie ihr
Sohn inmitten der tanzenden Wasser eines magischen
Stromes mit blau und orange gefleckten Panthern spielte,
während ihn Vögel mit Diamantenaugen umflatterten?
Aschure war dem ehemaligen Ramu begegnet, der jetzt
als Weißer Hirsch lebte, und hatte leise geweint, als er ihr
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