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Das Vermaechtnis

Das Vermaechtnis

Titel: Das Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Bold
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hinüber zu den Bildern zwischen den Fenstern. Die Dielen am Boden ächzten unter meinen Schritten. Vermutlich waren sie ebenso marode wie die Dachbalken. Der im Sonnenlicht flirrende Staub verlieh dem Raum Höhe und tanzte vor den Gemälden, als ich nähertrat.
    Unter jedem Porträt war ein kleines Schild angebracht, auf dem Informationen zu der Person, ihrem Wirken oder der Entstehung des Bildes standen.
    Ich sah mir das erste Bild an. Ein Mädchen, vielleicht fünfzehn Jahre alt, war darauf zu sehen.
    Lynn Erskine 1737 Daughter of James Erskine,
    later wife of Alec Elphinstone
    Das Mädchen sah unsicher aus, und ich fragte mich, wie lange sie für dieses Porträt hatte Modell sitzen müssen. Die blau-weißen Ärmel ihres Kleides passten gut zu dem gedeckten Blau des Bildhintergrundes, und ihre blassblaue Haarschleife auf den blonden Locken vervollständigte das farbliche Arrangement. Ihre Lippen und die hohen, geröteten Wangen waren die einzig warmen Farbtupfer in diesem sehr kühl gehaltenen Bild.
    Ich sah mir das nächste Gemälde an. Es zeigte einen Mann mit überdimensionaler Haarpracht – oder war es eine Perücke? Selbst die Big Hair Bands der 1980er hätten gegen den 1st Earl of Portmore äußerst bedauernswert gewirkt. Er trug einen glänzenden Brustpanzer und ein bis unter das Doppelkinn geschnürtes Halstuch. Seine Haltung wirkte siegessicher und erinnerte mich an die Körpersprache der Zwillinge Dougal und Duncan Stuart. Sogleich wurde mir mulmig, als ich an meine Zeit in der Gefangenschaft dieser Verräter zurückdachte.
    Schnell schritt ich die Gemäldewand weiter ab. Alles in allem eine bunte Mischung schottischer Geschichte. Gerade, als ich überlegte, wie lange ich wohl noch auf Roy warten sollte, fiel mir etwas ins Auge.
    „Himmel!“, entfuhr es mir, als ich näher an das nächste Bild trat. Ich hob meine Hand an die Leinwand und fuhr mit zitternden Fingern über die alte Ölfarbe. Mein Herzschlag klang mir wie Trommelschläge in den Ohren, und Alisons Leckereien lagen mir plötzlich wie Blei im Magen, während mein Geist zu erfassen versuchte, was ich da vor mir sah.
    Ich schüttelte den Kopf und fuhr erneut über das schimmernd in Öl verewigte Antlitz der Frau auf dem Porträt. Meine andere Hand wanderte an meine Kehle.
    Man hatte mir oft gesagt, dass ich den Cameronfrauen wie aus dem Gesicht geschnitten war, aber diese Frau, wer immer sie auch war, sah aus wie mein Zwilling – wie ich! Das war unmöglich. Vollkommen unmöglich.
    Unter dem weißen Schleier und den dunklen, in Locken gelegten Haaren war mit weißer und goldener Farbe das Schicksal verewigt. Eine kleine und eine große Perle in der schlichten goldenen Fassung, Mutter und Kind, für immer vereint.
    Scheiße, das war wieder so ein Moment, der einem die Schuhe auszog! Warum nur war ausgerechnet mein Leben voll von solchen Erlebnissen? Ich war unfähig zu atmen, so sehr drückte die Aufregung auf meine Brust, und ich drohte an den winzigen Staubpartikeln zu ersticken.
    Was ich sah, war vollkommen unmöglich!
    Scottish wife on her weddingday, 1741
    stand auf dem Schild. Scottish wife on her weddingday – hallte es in meinem Kopf.
    Ich überlegte fieberhaft, was das bedeuten konnte, aber es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis mein Gehirn seine Arbeit aufnehmen wollte. Weddingday, weddingday … es klang wie der Refrain eines Ohrwurms und überlagerte meine Gedanken.
    1741 – prangte die Jahreszahl auf dem weißen Kunststoffschild unter dem Bild, und ich rieb mir die Schläfen, um klarer denken zu können.
    Mit zitternden Fingern nahm ich einen meiner Ohrringe heraus und hielt ihn neben das Bildnis. Ich hatte mich nicht getäuscht. Verstört warf ich einen Blick durch den Raum. Wo war Roy verflucht noch mal? Ich brauchte dringend Antworten! Der Ohrring brannte in meiner Handfläche, so sehr verlangte es mich nach einer logischen Erklärung.
    1741
    Ich schüttelte wieder den Kopf. Das war unmöglich! Absolut unmöglich! Sicher spielten mir meine Augen einen Streich.
    „Wer bist du?“, murmelte ich. „Und was zur Hölle machst du mit meinen Ohrringen?“
    Ich drehte mich um, und da lag die Antwort vor mir. Die Kirchenregister! Schnell fuhr ich mit dem Finger über die Regale, über die Schildchen mit den Jahreszahlen, bis ich gefunden hatte, was ich suchte:
    Kirchenregister von 1735-1767
    „Du musst hier doch zu finden sein …“, flüsterte ich, während ich die Seiten überflog. Mit einem Mal erschien mir selbst diese

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