Das Vermaechtnis
Kraftvoll und ungezähmt, wild und unaufhaltsam. So hatte sie selbst ihn, einen Berg von einem Mann, zu Fall gebracht. Er hatte ihr versichert, nie wieder sein Schwert für eine Frau zu schwingen – doch er hatte sich geirrt. Zu lange musste er schon ohne ihre Liebe auskommen. Der Tod hatte sie ihm entrissen, und er konnte nicht länger ohne sie sein. Er wollte an ihrer Seite sein. Ihr Mann für die Ewigkeit, wenn sie endlich wieder vereint wären.
Die Zeit war gekommen, das zeigte ihm das schwindende Tageslicht. Der Himmel war dabei, seine Farbe zu ändern, und die Berge, an dessen Fuß der Friedhof lag, verwandelten sich in schwarze Riesen. Die ersten Nebelschwaden waberten über die Uferböschung und streckten ihre kalten Finger nach ihm aus. Alasdair gefiel das.
Der Nebel gehörte zum Hochland, ebenso wie zu seiner nordischen Heimat. Gehörte zum Angriff wie das Blutvergießen zum Morden – und beides gehörte zu ihm, wie das Breitschwert in seiner Hand.
Er trat hinter die mannshohen Überreste der einstigen Kapelle, lehnte sich gegen die feuchten Steine und verschmolz mit den abendlichen Schatten einer alten Eibe. Kein Zufall, wie er fand. Eoh – seine Rune hatte ihm dies schließlich gezeigt. Die Zeit des Loslassens und zugleich eine Zeit des Neubeginns kam auf ihn zu. Eine Krähe stob auf und landete ihm gegenüber auf einem Grabmal. Sie neigte den Kopf. Sein Schwert spiegelte sich in ihren schwarzen Augen, ehe sie sich mit einem Schrei in den Himmel erhob.
Auld a´chruinn – der Ort, den ich mir geschworen hatte, niemals mehr zu betreten. Das Grauen hielt mich fest in seinen Klauen, als ich den Motor abstellte und durch die Scheibe sah. Im Scheinwerferlicht sah es aus, als nähme der Nebel für einen Moment Gestalt an, ehe er wieder zu tanzendem Dunst wurde. Ich hatte die Heizung voll aufgedreht, aber die Kälte wollte mir nicht aus den Knochen weichen.
Warum war ich hierhergekommen? Warum hatte dieser Ort mich nach dem Fund des Kirchenregistereintrags wie magisch angezogen? Ich musste vollkommen verrückt sein, diesem Impuls zu folgen.
Trotzdem fasste ich entschlossen nach dem Dolch und hielt mir die Klinge vors Gesicht.
Stelle dich deinem Schicksal – dieser Satz schien das Motto meines Lebens zu werden.
Wie sollte ich Payton nur erklären, was ich gerade herausgefunden hatte? Zum Glück blieb mir noch ein wenig Zeit, bis er von Edinburgh hierherkommen würde. Ich warf einen Blick in den Rückspiegel und erkannte mich kaum wieder. Ich sah aus, als hätte ich ein Gespenst gesehen. Ich grinste mich an. Das kam ja in etwa hin. Ich öffnete die Tür und stieg aus – die Klinge fest in meiner Hand.
„Kein Gespenst, nur die Vergangenheit“, murmelte ich, während ich auf den Friedhof zuging. „Oder doch die Zukunft?“
Noch immer hallten die Worte aus dem Kirchenregister durch meinen Körper, und das Bild der Braut stand mir noch deutlich vor Augen.
Dieses Bild hatte mich an diesen Ort gebracht, hatte meine Schritte gelenkt und führte mich nun geradewegs zum Gedenkstein der fünf Schwestern. Ich fürchtete den Stein nicht, der mich durch die Zeit befördert hatte, denn, wie ich wusste, brauchte es Blut, um das Zeitportal zu öffnen. Die Blüten des Rosenstocks waren geschlossen, aber wie im letzten Herbst zählte ich fünf Knospen – eine für jede Tochter des Druiden.
Die Autoscheinwerfer warfen zwei grelle Lichtstreifen über den verfallenen Friedhof und erweckten unheimliche Schatten zum Leben. Ich fühlte mich, als lauere irgendwo in den finsteren Winkeln dieses Totenackers das Unheil und wartete nur darauf, mich ins Verderben zu stürzen.
Ich musste Payton sagen, was ich herausgefunden hatte – auch wenn ich nicht wusste, was es für uns bedeuten mochte, denn trotz all meiner Selbstvorwürfe gab es eine Sache, die ich auch ihm nicht verzeihen konnte. Ich schluchzte. Warum brannte mir immer die Kehle so eklig, wenn ich versuchte, meine Tränen hinunterzuschlucken?
Es hatte nichts damit zu tun, was er in der Nacht des Massakers getan hatte. Nicht seine Beteiligung am Mord meiner Ahnen schmerzte mich, sondern etwas anderes. Er hatte mir einst einen Eid geschworen, mich immer zu lieben. Er hatte mir seine Vergebung versichert, selbst wenn ich ihn nicht hätte retten können. Nur wusste ich heute, dass er mir nicht vergeben konnte, dass ich ihn verlassen und gerettet hatte. Es war, wie ich damals befürchtet hatte: Er hatte festgestellt, für meine Liebe einen zu hohen Preis
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