Das Vermaechtnis
zu sehen. Sogar das aufgeweichte Brot aus Williams Speisekammer schmeckte irgendwie grau. Ich brauchte dringend eine heiße Dusche! Ich schlang meine Arme um meinen frierenden Körper und rückte unauffällig etwas näher zu James. Ich brauchte eine Dusche … und Payton!
Mein Magen verkrampfte sich um den Klumpen Brot, als ich an Payton dachte. Plötzlich überkam mich die Angst. Was, wenn ich ihn nicht fand? Schottland war groß, und ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, wenn er nicht, wie ich hoffte, in Burragh darauf wartete, dass seine zweihundertsiebzig Jahre Verdammnis verstrichen. Wo sollte ich suchen, was tun?
Ein Schwall Wasser rann mir über die Lederplane in die Stirn, und ich zog mir fluchend das Arisaid noch weiter über den Kopf.
„Wie weit ist es noch?“, fragte ich bibbernd.
„Keine Sorge, Mädel. Bald haben wir es geschafft, aye?“, versicherte mir James und schnalzte mit der Zunge, woraufhin die Ochsen wieder ein wenig schneller gingen.
„Was ist bald?“, wollte ich wissen, weil jeder meiner Knochen danach schrie, endlich von diesem Karren zu kommen.
James lachte und stupste mich mit dem Ellbogen in die Seite.
„Wir sind da, wenn wir da sind, aye?“
Der Whisky, den er mir in die Hand drückte, sollte mich vermutlich beruhigen, wärmen würde er mich aber auf jeden Fall. Also gab ich mich seufzend geschlagen und nahm einen Schluck.
„Wie komme ich denn von Craig Liath Wood weiter nach Burragh? Denkst du, dort findet sich jemand, der mir helfen kann?“
Wie immer, wenn ich davon sprach, nach Burragh zu wollen, spuckte James aus, ehe er mir antwortete. Seine Abneigung gegen die McLeans war nicht zu übersehen.
„Craig Liath Wood zählt schon zum Grenzland. Die Menschen dort haben inzwischen gelernt, mit ihren Nachbarn umzugehen, darum wirst du womöglich jemanden finden. Aber wenn du einen Rat willst, Mädel, dann halt dich von denen fern.“
Seine Worte waren wirklich eindringlich, und ich schauderte, als ich daran dachte, wie begründet seine Abneigung war. Immer wieder verdrängte ich, dass das Blut vieler Unschuldiger vergossen worden war, als die beiden Bündnispartner aus dem Süden, die McLeans und die Stuarts, in den Norden eingefallen waren.
Sie hatten sich ihren Ruf mit Blutvergießen verdient. In James‘ Augen wäre ich vermutlich ein Verräter, wüsste er, dass einem der McLeans mein Herz gehörte.
Die nächsten Meilen fuhren wir schweigend, und ich musste wohl kurz eingenickt sein, denn ich war orientierungslos, als mich James anstupste.
„Siehst du? Craig Liath Wood“, sagte er und deutete auf die wenigen Katen, die sich eng aneinander in das Tal vor uns schmiegten. Der Regen fiel in Fäden, aber der Rauch aus einem der Kamine stieg wie eine Einladung an sein wärmendes Feuer in den Himmel. Ich bildete mir fast ein, bereits das Prasseln des Holzes zu hören, und kuschelte mich in meine Decke. Froh, das Ziel der anstrengenden Reise vor Augen zu haben, vergrub ich mich für das letzte Wegstück unter dem Leder.
Payton hatte die Daumen in den Gürtel gesteckt und wartete. Der Regen klebte ihm die langen Haarsträhnen an den Kopf, aber das störte ihn nicht. Weder würde er sich eine Lungenentzündung holen noch fror er. Ganz im Gegenteil zu dem hustenden Stallknecht, der gerade sein Pferd aus dem Unterstand holte.
„Es hat ganz schön abgekühlt, aye?“, versuchte der höflich, ein Gespräch anzufangen, wobei sein Blick furchtsam an Paytons Breitschwert hing.
In dem Ort lebten nur Bauern und Viehhirten. Ein Schwert wie dieses war mehr wert, als jeder von ihnen in einem Jahr verdiente. Aber nicht nur deshalb wurde Payton von etlichen Augen beobachtet.
Er war der Feind.
Nicht, dass er etwas fürchten musste, dafür hatte Vanora immerhin gesorgt. Rache vonseiten der Gefolgsleute der Camerons war dank seiner Unsterblichkeit sein kleinstes Problem. Aber die Männer und Frauen von Craig Liath Wood waren auch keine Krieger und auf einen Kampf ebenso wenig aus wie er selbst.
„Wo es doch vorgestern noch so warm war“, fuhr der Bursche fort, über das Wetter zu reden, während er den Hinterlauf des Pferdes hob und Payton einen Blick auf das neue Eisen werfen ließ. „Mein Onkel Ned in Oath hat bei wechselhaftem Wetter immer Schmerzen in den Gelenken. Grauenhaft muss das sein!“ Ein Hustenanfall begleitete die Worte und beendete die Geschichte über Onkel Ned.
Payton nickte und griff nach den Zügeln. Schmerzen. Er konnte sich kaum daran erinnern,
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