Das Vermaechtnis
wie sich das anfühlte. Ehe er dem Jungen sagen würde, dass sein Onkel sich glücklich schätzen konnte, überhaupt etwas zu empfinden, wandte er sich lieber ab und ging die Straße entlang.
Ein Blick in den wolkenverhangenen Himmel ließ ihn zögern. Sollte er wirklich so spät am Tag seinen Weg fortsetzen oder doch besser bis zum nächsten Morgen warten? Es sah nicht nach einer Wetterbesserung aus und der Tag war schon weit fortgeschritten, sodass ihm nur noch wenige Stunden Tageslicht bleiben würden. Das Pferd stampfte unruhig und warf den Kopf in den Nacken. Paytons Unruhe übertrug sich auf das Tier, und mit einem Blick hinüber zum Gasthaus strich er dem Pferd beruhigend über die Flanke.
Was brauchte er einen warmen Kamin oder ein deftiges Essen? Wozu eine weitere Nacht in Gesellschaft von Menschen, die ihn misstrauisch musterten oder gar ausspuckten, sobald er ihnen den Rücken kehrte? Ihre Schmähungen folgten ihm ja selbst jetzt, da er nur hier auf der Straße stand.
Nein, hier hielt ihn nichts. Der Norden war sein Ziel. Fair Isle – und die Magie der Hexen dort.
Das gleichmäßige Rumpeln des Karrens, die bleierne Müdigkeit in meinen Knochen, die durch den Whisky verstärkt wurde, und die Aussicht, mich schon bald aus meinen nassen Klamotten befreien zu können, ließen mich die Augen schließen. Erschöpft lehnte ich meinen Kopf an James‘ Schulter, der mir fürsorglich die Decke bis unters Kinn zog, als wir die ersten Häuser von Craig Liath Wood passierten.
Ich würde nicht einschlafen, redete ich mir selbst zu. Nur für einen kurzen Moment die Augen schließen.
Payton blickte die Straße entlang. Er war nicht der Einzige, der verrückt genug war, bei diesem Regen unterwegs zu sein. Ein Ochsengespann kam ihm am Ortsausgang entgegen.
Payton führte das Pferd einen Schritt beiseite, um den Schlamm spritzenden Rädern aus dem Weg zu gehen, und prüfte seine Sattelgurte. Er bückte sich, um die Gurte nachzuzurren.
„ Latha math “, murmelte er einen Gruß an den Fuhrmann.
„ Latha math “, durchfuhr es mich wie ein Blitz. Payton! Ich richtete mich auf und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht, um den Traum zu vertreiben. Sekundenschlaf.
Ich atmete tief die feuchte Luft ein, um das Brennen in meiner Kehle zu vertreiben. Ich sehnte mich so nach Payton, dass ich schon glaubte, seine Stimme gehört zu haben. Verrückt!
„Wir sind da“, erklärte James, und tatsächlich lenkte er den Karren geradewegs auf das Gebäude mit dem qualmenden Kamin zu. Ich versuchte, das merkwürdige Gefühl abzuschütteln, welches den Nachhall meines kurzen Nickerchens bildete, und stieg ab. Ein Reiter preschte auf seinem Pferd aus dem Ort hinaus, dass der Schlamm nur so spritzte, und ich schlang mir verloren die Arme um den Oberkörper. Ich hätte heulen mögen, dabei war ich doch endlich angekommen.
„Du musst nicht länger hier draußen stehen, Mädel. Geh ruhig rein, ich komme gleich nach“, meinte James und rief einen Stallburschen her, der sogleich hustend half, die Ochsen auszuspannen.
Ich riss meinen Blick von dem in der Ferne immer kleiner werdenden Reiter los und versuchte, die Enge in meiner Kehle zu ignorieren.
Ein Bett und einige Stunden Schlaf würden alles wieder richten. Die Erschöpfung setzte mir mehr zu, als ich geglaubt hatte, denn, als ich die Augen schloss, sah ich Bilder vor mir, die nicht hierher gehörten. Die Touristeninformation von Inverness, meine Baseballkappe in der Mitte der Straße und ein Motorrad, dessen Scheinwerfer sich in den Pfützen der Fahrbahn spiegelten.
Der Sattelgurt in seinen Händen wurde zu einer Rettungsleine, als eine Welle des Schmerzes über Payton zusammenschlug. Keuchend lehnte er sein Gesicht gegen den feuchten Bauch des Pferdes, während seine kalten Kleider es nicht vermochten, das Brennen in seinem Blut zu löschen. Er fror und zugleich stand er in Flammen. Der Kutscher des Ochsenkarrens warf ihm einen fragenden Blick zu und erwiderte seinen Gruß mit einem Nicken, aber Payton bekam davon kaum etwas mit.
Was ist das ? Die Frage hallte in seinem Kopf wider. Er verspürte starke Schmerzen und wusste doch sicher, dass das absolut unmöglich war. Denn Schmerzen wären ihm willkommen. Jedes Gefühl wäre ihm in seiner unerträglichen Taubheit willkommen.
Sein Herz pumpte das Blut kraftvoll durch seine Adern, und zitternd richtete er sich auf, zog sich in den Sattel, um zu fliehen. Zu fliehen, vor was? Die Straße vor ihm war
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