Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
schlug ihnen mit wachsendem Zorn den Weg frei. Kamen sie jetzt zwar ungehindert voran, erfasste Josie mit einem Mal das beklemmende Gefühl, verfolgt zu werden. Ihre Blicke streiften argwöhnisch durch das trostlose Grau, in dem alle Konturen verschwammen.
Und dann entdeckte sie sie: Schatten. Überall Schatten. Große, kleine, menschen- und tierähnliche Schatten. Manche rückten ihnen so nah, dass Josie einen kalten Luftzug zu spüren glaubte. Waren dies die Schatten der bedauernswerten Kreaturen, die dem Wald zum Opfer gefallen waren?
»Du hast ganz recht«, vernahm sie Wolf. »In Ombragon erfüllt sich das grausige Schicksal der Verstoßenen. Hier enden jene, die Dykerons Missfallen erregt haben. Der Wald hat sich ihre Körper einverleibt. Achtet gut auf eure eigenen Schatten, denn die Heimatlosen hier sind sehr erpicht auf einen neuen Leib.«
Josie drehte sich um. Ihr Schatten war da, undeutlich aufgrund des dämmrigen Lichts, aber es war eindeutig ihrer. Doch dann sah sie, wie etwas, wie ein Stück grauer Gaze, sich an Arthur heranpirschte. Bildete sie sich das bloß ein? Sie kniff die Augen zusammen. Nein, das war definitiv keine Einbildung! Der fremde Schatten, der einen Turban trug und wild mit einem Krummsäbel fuchtelte, forderte Arthurs Schatten zu einem lautlosen Gefecht, das der Angegriffene mit dem Schatten der Machete parierte, während Arthur, ohne irgendetwas davon zu bemerken, verbissen eine dichte Stelle im Unterholz freischlug. Ein Warnruf blieb Josie in der Kehle stecken, als ein weiterer Schatten heransprang, mit hoher Mütze und einem Stock, mit dem er heftig auf den Turbanträger einprügelte. Fraglos stritten sie sich um Arthurs Körper.
»Vorsicht!« Wolfs Stimme ließ sie herumwirbeln. Für einen Moment setzte ihr Herz aus. Von allen Seiten strömten sie aus dem Gebüsch, sprangen von Bäumen, schienen aus Farnbüscheln und Astlöchern zu quellen.
Wolfs Warnung hatte auch Arthur aufgeschreckt. Leichenblass fand er seinen Schatten von einer Horde substanzloser grauer Figuren umringt. Josie versuchte, mit ihrem Schatten zu fliehen, aber die geisterartigen Wesen hängten sich an ihn, zerrten an ihm und drohten ihn zu zerreißen, sodass sie sich gezwungen sah, stehen zu bleiben. Selbst Arthurs magische Waffe schien die lautlos, aber unerbittlich um den Sieg kämpfenden Schatten nicht abzuschrecken. Was sollten sie nur tun?
»Arthur, die Lampe!«, vernahmen sie Wolfs verzweifelte Stimme, der erfolglos versuchte, einen vierbeinigen Schatten mit einer wirren Löwenmähne wegzubeißen, dem es schon gelungen war, seinen Schatten von der rechten Vorderpfote zu lösen. »Rasch! Mach das Licht an!«
Arthur tastete, wild um sich tretend, nach der Taschenlampe, und leuchtete hastig die Umgebung ab. Geräuschlos, ihrem Entsetzen nur mit abwehrenden Gesten Ausdruck verleihend, wichen die Schemen zurück. Doch gelang es nur den weiter entfernten, sich dem starken Sog der Lampe zu entziehen. Mit der Kraft eines Superstaubsaugers verschluckte der Lichtstrahl Schatten um Schatten.
Sprachlos verfolgten die Gefährten das stumme Spektakel.
»Sie sind weg«, stellte Josie endlich fest und wagte einen bangen Blick hinter sich. »Gott sei Dank, bei mir scheint alles okay zu sein.«
Arthur nickte, während er die Lampe wieder ausschaltete. »Mein Schatten auch, soweit ich sehen kann!«
»Ich hab allerdings ein kleines Problem«, meldete sich Wolf. »Meiner hängt nur noch an drei Beinen. Hoffe, er regeneriert sich wieder.« Er verrenkte den rechten Vorderlauf, um an das lose Schattenbein zu kommen.
Josie und Arthur stützten seinen Oberkörper, sodass es ihm nach einigen Versuchen gelang, die Pfote auf das abgerissene Schattenglied zu stellen. »Leider bin ich nicht mehr der Jüngste. Das ist nichts für meine steifen Knochen«, ächzte Wolf. »Einen Moment noch! Das Bein muss sich erst wieder damit verbinden.« Als er jedoch nach kurzem Warten vorsichtig den Lauf hob, ging der Schatten mit.
»Sieht gut aus!«, stellte Arthur erleichtert fest.
»Ob sie wiederkommen?«, fragte Josie mit rauer Stimme.
Arthur klopfte auf die Taschenlampe. »Sollen sie ruhig, dann wird ihnen gleich ein Licht aufgehen.«
Weiterhin von dem unguten Gefühl begleitet, beobachtet zu werden, und in ständiger Erwartung neuer tückischer Fallen, setzten sie ihren Weg fort.
Endlich aber lichtete sich der Forst und unter ihnen lag ein Tal.
Einer Riesenschlange gleich durchschnitt ein tintenschwarzer Fluss die düstere
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