Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
baumelten im Luftzug der offenen Tür die schlaffen Kadaver von Singvögeln. Josie erkannte neben einigen Meisen und Spatzen wehmütig eine kleine Nachtigall. Die trübweißen Augen eines toten Kaninchens glotzten sie leer an. Schweineköpfe mit hängenden Ohren und leeren Augenhöhlen bildeten auf einer blutverschmierten Schlachtbank eine schaurige Reihe. Darunter lagen ihre leblosen Körper, dazwischen ein totes Schaf und eine kopflose Ziege. Überall standen Behältnisse, Kisten und Säcke. In einer Ecke stapelten sich verschrammte Fässer, die scharf nach Alkohol rochen und die, wie Josie annahm, sicher den begehrten Fusel der Trolle enthielten. Ein offenes Fass, aus dem die glitschigen, saugnapfbewehrten Tentakel von Tintenfischen hingen, stand neben einem Korb, aus dem die gelbbraunen Krallen von Hühnern ragten. Über die Wände zogen sich grobe Regale mit Flaschen und Einweckgläsern. Josie schüttelte sich, als sie bei näherem Hinsehen entdeckte, dass einige bis zum Rand mit Augäpfeln gefüllt waren.
»Die Bandraoi hat die Vorräte auffüllen lassen«, stellte Bianca fest. »Für das Drachenopferfest.«
»Ich würde bei all diesem unappetitlichen Zeug hier glatt verhungern«, sagte Josie und stellte verwundert fest, dass sie weder Hunger noch Durst verspürte, seit sie Dorchadon betreten hatten.
»Wir befinden uns am Rand der Träume«, klinkte sich Wolf in ihre Gedanken ein. »Der menschliche Körper speist sich hier aus der ihm eigenen Energie.«
Josie wollte eben mehr darüber erfahren, als ein eigentümliches Scharren und Quieken ihre Aufmerksamkeit auf einen zerschlissenen Weidenkorb lenkte. Mit spitzen Fingern öffnete sie den Deckel – und wich bestürzt zurück.
Bianca, die auf ein Fass geklettert war, und nun ihrerseits den Korbinhalt inspizierte, riss die Kulleraugen auf. »Katzenvieh und Marderbiest! Hat die Teufelsbande zum Fest doch tatsächlich noch ein paar Schrätlein für den Hornkopf aufgetrieben! Ist es zu fassen?«
Bernhard schüttelte unwillig den Kopf. »Die Schrate sollten aber auch wirklich besser auf ihre Bälger aufpassen!«
Josie beugte sich zu den gefesselten und geknebelten Schratkindern hinunter. »Habt keine Angst. Wir tun euch nichts!« Damit holte sie das erste aus seinem Gefängnis und befreite es von den Stricken. Kaum hatte sie es auf den Boden gesetzt, sauste ein kleiner rothaariger Blitz ohne Dank und Gruß aus der offenen Tür.
»Ja, renn du nur!«, rief ihm Bernhard hinterher. »Ihr habt Dusel, dass die Wolfbestien sich heute wohl kaum mehr aus dem Zwinger wagen.«
Auch die anderen Schratkinder verloren keine Zeit mit Dankesworten. Wie vom Teufel gejagt, flitzten sie auf ihren kurzen Beinchen ins Freie. Nur das letzte, das wohl auch das Älteste der fuchshaarigen Truppe war, hielt einen Moment inne. Sein helles Stimmchen bebte, als es sich mit einem gehetzten Blick zur Tür verabschiedete. »Habt großen Dank! Wir sind gerettet! Man hätte uns sonst eingefettet und uns so lange heiß gegart, bis unsre Leiber durch und zart. Am Eisenspieß fein präpariert, hätt’ man dem Hornkopf uns serviert.« Angesichts des schrecklichen Schicksals, dem er soeben entgangen war, brach der kleine Schrat in lautes Schluchzen aus. Dann nahm er die Beine in die Hand und weg war er.
Die Gefährten sahen ihm betroffen nach.
»Die Ärmsten!«, sagte Josie.
»Die Glücklichen!«, verbesserte sie Bianca. »Allerdings wird die Bandraoi toben, wenn sie bemerkt, dass ihr die Vorspeise abgehauen ist.«
»Vorspeise!«, wiederholte Josie kopfschüttelnd. »Wie kann man nur! Die kleinen Schrate sind so süß und drollig.«
»Leute«, unterbrach Arthur die Unterhaltung. »Uns läuft die Zeit davon! Wie geht es jetzt weiter?«
Bernhard wies mit der Pfote zu einer Tür, die zu den Innenräumen führte. »Wir spähen aus, ob in der Küche reine Luft ist. Dann schleicht Ihr euch in die Burg.«
Biancas flinke Äuglein flogen von Josie zu Arthur. »Die zwei werden auffallen wie bunte Hunde. Sie müssen sich verkleiden. – Am besten als Wachleute.«
»Als Hellcs?«, erkundigte sich Josie.
Der Ratterich nickte bekümmert. »Doch, bei Odin, wo sollen wir zwei Hellc-Monturen herzaubern?«
»Das lasst mal meine Sorge sein!« Damit steckte Josie schon den Mittelfinger in Rosalindes Fingerhut.
Bianca riss Perlenaugen und Schnauze auf, als das Mädchen einen Atemzug später in voller Lederkluft vor ihr stand.
»Potz Speikatz!« Bernhard zuckte anerkennend mit den Ohren. »Sie sieht
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