Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
wie die Dinge weitergeh’n.«
Josie hatte kein Wort verstanden, nur so viel, dass anscheinend allein sie das Privileg hatte, Rosalinde zu sehen. »Gibt es eigentlich noch mehr Geister hier im Haus?«
Jäh verfinsterte sich Rosalindes Miene und ihre Stimme klang, als hätte sie einen Stein verschluckt. »Es gab einst eine gute Zeit, da lebten von uns viele hier. Heut sind wir nur mehr noch zu zweit.« Sie ließ die Schultern hängen. »Es quält die wunde Seele mir.«
Josie setzte eben an, sie nach dem anderen Hausgeist zu fragen, als Rosalinde abwehrend mit den Händen wedelte, als wolle sie ihre traurigen Gedanken verscheuchen wie eine lästige Fliege. »Nun denn – ich sprech nicht gern von üblen Dingen. Solch’ Reden nichts als Unheil bringen. – Ich dien Euch gern, doch schweiget still, wie es die alte Sitte will. Wir zeigen uns nicht jedermann und der Zauber brechen kann, wenn der Mensch, der auserwählt, leichtfertig von uns erzählt.«
Josie ging zur Tür. »Na gut. Ich behalte es für mich. Obwohl ich’s schade finde. Moma würde dich bestimmt mögen.« Sie nahm zögernd die Klinke in die Hand. »Seh ich dich wieder?«
»Wir werden uns bald wiederseh’n, ich komm zu Euch, sooft ich kann.« Rosalinde verzog verschmitzt den Mund. »Und falls entbehrlich etwas Rahm – würd ich ihn sicher nicht verschmäh’n.« Mit einem kleinen Kichern leckte sie sich über die Lippen wie eine vernaschte Katze und machte sich dann diensteifrig daran, Josies Nachthemd zusammenzufalten.
Schmunzelnd ging Josie hinaus.
Das Bad mit den hübschen weißen Fliesen, in die reliefartige rote Rosen eingearbeitet waren, lag direkt neben ihrem Zimmer. Nach einer flüchtigen Morgentoilette trat sie in den düsteren, halbhoch vertäfelten Flur. Irgendwie fühlte sie sich unbehaglich. Wurde sie beobachtet? Wer hauste noch hinter den vielen Holzverkleidungen? Aber anscheinend suchte der zweite Hausgeist momentan nicht den Kontakt zu ihr. Und Josie war auch nicht scharf darauf. Eine Zwergin – so liebenswürdig Rosalinde auch war – war genug für den heutigen Tag.
Der Flur, von dem rechts und links Türen abgingen, endete mit einer Treppe aus dunklem Nussbaumholz, deren Baluster zu Fratzen und verschlungenen Ranken ausliefen. Ein hohes, bunt verglastes Fenster erhellte das Treppenhaus.
Josie blieb stocksteif stehen. Im Zentrum der kunstvoll gearbeiteten floralen Motive prangte ein Symbol, das ihr mehr als vertraut war: ein Stab, um den sich zwei Schlangen wanden, eine dunkle und eine helle. Durch das Purpurherz zwischen den Drachenköpfen bohrte sich ein rot glühender Sonnenspeer. Was hatte es mit diesem Zeichen nur auf sich? Sie nahm sich vor, den Professor danach zu fragen.
Noch während sie darüber nachdachte, lenkte ein unerwartetes Geräusch ihren Blick nach unten. Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen. Ein riesiger grauer Hund, dessen Schultern ihr bestimmt bis zur Taille reichten, stand auf der Treppe und musterte sie aufmerksam. Er setzte eben an, näher zu kommen, als eine männliche Stimme ertönte. »Wolf! Bei Fuß!«
Der Hund wandte den Kopf, drehte sich dann vollends um und stakste, mit seiner langen Zottelrute freudig wedelnd, die steilen Stiegen zu seinem Herrn hinunter.
Josie löste sich aus ihrer Erstarrung. Eigentlich mochte sie Hunde sehr. Aber dieser hier war wirklich Respekt einflößend. Zu seiner enormen Größe gaben ihm sein zerzaustes Fell und sein athletischer Körperbau etwas Wildes, wenngleich sie im Blick seiner Bernsteinaugen keinerlei Aggression entdeckt hatte.
»Guten Morgen!«, begrüßte sie der Professor. »Hoffe, du hast gut geschlafen« Er tätschelte den Hund am Hals. »Sorry. Aber Wolf war wohl zu neugierig auf dich. Gestern Abend hab ich ihn weggesperrt, er sollte dich nicht erschrecken, wenn du aufwachst. Eigentlich wollte ich ihn dir heute persönlich vorstellen, aber jetzt ist er mir zuvorgekommen.«
Erleichtert lief Josie die letzten Stufen zur Diele hinunter und ging auf den Hund zu. »Was ist das für eine Rasse?«
Wolf beschnupperte interessiert die Hand, die Josie ihm hinstreckte.
»Ein Irish Wolfhound«, antwortete der Professor. »Er ist schon zehn Jahre alt – ein hohes Alter für einen Hund seiner Größe. Aber außer den weißen Barthaaren um die Schnauze, sieht man ihm die Jahre kaum an. – Obwohl der alte Knabe fauler geworden ist.« Er hielt inne und zwinkerte Josie zu. »In diesem Punkt haben wir etwas gemeinsam.«
Sie strich über das raue,
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