Das Vermächtnis der Feuerelfen
Spende,
um zu erfahren, welche Schiffe nicht heimkehren würden. Das wiederum sprach sich bei jenen herum, denen die Schiffe gehören. Du kannst dir sicher vorstellen, dass die Schiffseigner wenig Freude daran haben, den Hinterbliebenen die Nachricht vom Tod ihres Sohnes, Bruders oder Gefährten zu überbringen. So boten sie mir an, für sie zu arbeiten. Ich nehme ihnen diese unangenehme Pflicht ab und erhalte dafür einen Lohn. So einfach ist das.«
»Ich verstehe.« Finearfin nickte bedächtig und fügte hinzu: »Keine Sorge, dein Geheimnis ist bei mir sicher.«
»Nichts anderes habe ich erwartet.« Der Schwarze beugte sich vor, hob den Arm, legte zwei Finger auf Finearfins Stirn und sagte: »Und nun schließe die Augen und öffne deinen Geist!«
»Warum sollte ich das tun?« Finearfin wich ein Stück zurück.
»Weil ich etwas für dich habe.«
Finearfin zögerte. Das Ritual des Dritten Auges beherrschten nur wenige Elfen, aber es war ihr nicht unbekannt. Im Zweistromland wurde es eingesetzt, um jemandem ohne langes Reden von einem wichtigen Ereignis zu berichten, vor allem aber um die Erinnerung an furchtbare Schrecken aus dem Bewusstsein von Verletzten zu tilgen. Es war ein Ritual, das viel Gutes bewirken, aber auch großen Schaden anrichten konnte. Finearfin wusste um die Gefahr, der sie sich aussetzte. Wenn sie ihren Geist für den Fremden öffnete, war sie ihm hilflos ausgeliefert, im schlimmsten Fall konnte er sie sogar töten.
»Hab keine Furcht«, hörte sie den Schwarzen sagen. »Dir wird nichts geschehen. Was ich dir zeigen will, hat noch niemand zuvor gesehen. Ich teile diese Bilder mit dir, weil ich dir vertraue und weil ich große Hoffnungen in dich setze.«
»Aber … du kennst mich doch gar nicht.« Finearfin war nun vollkommen verwirrt.
»Ich kenne dich besser, als du denkst«, erwiderte der Schwarze geheimnisvoll. »Ich weiß um deine Schuldgefühle und darum,
dass du auf der Suche nach der Hohepriesterin bist. Ehrlich gesagt habe ich dich oder jemanden wie dich schon sehr viel früher hier in Arvid erwartet, aber der Krieg wollte es anders. Kostbare Zeit ging verloren. Nun aber bist du hier, fast schon zu spät, aber noch nicht ganz. Wenn deine Mühe nicht vergebens gewesen sein soll, musst du schnell handeln, daher frage ich dich: Willst du es sehen? Willst du teilhaben an dem Schicksal, das die Hohepriesterin vor fünfzehn Wintern ereilte? Willst du wissen, wo du sie finden kannst?«
Finearfin zögerte, aber nur kurz. Der Elf sprach in Rätseln, aber sie spürte die Aufrichtigkeit in seinen Worten und entschied sich, das Wagnis einzugehen. »Ja«, sagte sie mit fester Stimme. »Ja, ich will es sehen. Zeig es mir.«
DIE TOCHTER DER ELFENPRIESTERIN
I rgendwann in den frühen Morgenstunden setzte der Regen aus. Der Wind wurde schwächer, trug das wütende Tosen der Brandung mit sich fort und ließ Mensch und Tier aufatmen.
Aber nicht jeder auf dem Riff hieß das Ende des Sturms willkommen. Als das erste Morgenlicht Caiwen aus unruhigen Träumen weckte, legte sich die Ruhe sofort wie ein bleiernes Gewicht auf ihr Herz. Sie hatte kaum geschlafen, denn sobald sie die Augen schloss, sah sie Schiffbrüchige vor sich, die sich nass und erschöpft an den Strand schleppten, froh, den tödlichen Fängen des Ozeans entronnen zu sein, und nicht ahnend, dass ihr Leben dennoch verwirkt war. »Vielleicht ist diesmal ja gar kein Schiff gesunken«, versuchte sie, ihre aufgewühlten Gedanken zu beruhigen.
Aus dem Nebenzimmer hörte sie schwere Schritte. Ihr Vater war aufgestanden. Mit angehaltenem Atem lag Caiwen im Bett und lauschte auf die Geräusche. Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie Lenval sich nacheinander Stiefel und Mantel anzog, wie er die Säcke für die Beute aus der Truhe neben der Tür nahm und nach Axt und Spaten griff, ehe er die Tür öffnete, um sich gemeinsam mit den anderen Männern auf die Suche nach Strandgut zu machen.
Caiwen erschauderte, presste die Lippen fest zusammen und unterdrückte den Impuls, aufzuspringen und hinauszulaufen, um die Unschuldigen zu warnen, die vielleicht gerade in diesem Augenblick unten am Strand auf Hilfe hofften.
Zusammengekrümmt, die Hände um die Knie geschlungen, lag sie da und focht einen zermürbenden Kampf gegen sich selbst und ihre ureigene innere Überzeugung. Es war nicht das erste Mal und es würde nicht das letzte Mal sein. Solange sie nicht aufbegehrte gegen das Leben, das zu führen sie gezwungen war, solange sie die
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