Das Vermächtnis der Feuerelfen
herbringen!« Melrem trat aus dem Schatten der Aufbauten und fasste ihn am Arm. »Von dem Jungen war nie die Rede.«
»Ich habe ihn nicht eingeladen.« Mit einem energischen Ruck befreite sich Durin aus Melrems Griff. »Er ist ihr schwimmend gefolgt und wäre fast ertrunken. Ich hab nichts unternommen, um ihn zu retten. Dann tauchte dieses Seeungeheuer auf und warf ihn ins Boot. Die Männer sind überzeugt, dass es ein Zeichen Mar-Undrums ist.«
»Mar-Undrum!« Melrem schnaubte. »Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass du das abergläubische Geschwafel der Matrosen ernst nimmst?«
»Das nicht. Aber die Schärfe ihrer Waffen.« Durin senkte die Stimme und fuhr flüsternd fort: »Du hättest ihre Gesichter sehen sollen, als dieses Vieh den Jungen brachte. Für sie ist es ein Wunder. Hast du gehört, was sie sich über ihn erzählen? Sie sagen, er ist ein Geist, der auf wundersame Weise durch den Tod zum Leben erweckt wurde.« Er atmete tief durch und fuhr fort: »Was hätte ich denn tun sollen, Melrem? Den Jungen wieder über Bord werfen und den Zorn der Mannschaft auf mich ziehen, die Mar-Undrums Rache mehr als alles andere fürchtet? Ich war allein gegen zehn! Mar-Undrums Willen stellt man nicht infrage,
wenn man mit einem Schiff unterwegs ist, das solltest du eigentlich wissen.«
»Dann schaff mir diesen Balg in Arvid vom Hals«, knurrte Melrem, ohne auf Durins Rechtfertigungen einzugehen. »Der Junge ist Ballast, der unseren Plänen im Weg steht.« Er verstummte und beugte sich so weit vor, dass Durin seinen Atem an der Wange spüren konnte, als er flüsternd hinzufügte: »Ich sage dir was. Es ist mir völlig gleichgültig, was die Männer denken und wie er zu Caiwen steht. Er muss verschwinden - und zwar schnell. Sonst wird nichts aus dem Beutel Gold.«
»Meine Aufgabe war es, das Mädchen zu holen«, brauste Durin auf. »Das habe ich getan. Du kannst nicht von mir verlangen, dass ich …«
»Du hast einen Fehler gemacht und wirst das wieder in Ordnung bringen«, sagte Melrem gefährlich ruhig. »Schick ihn zurück ins Geisterreich. Dann bekommst du deinen Lohn.« Ohne Durins Antwort abzuwarten, wirbelte er herum und hastete die Treppe zur Kapitänskajüte hinunter.
Durin starrte ihm finster nach. Dass Melrem von ihm erwartete, Heylon aus dem Weg zu schaffen, empfand er als persönliche Beleidigung. Er war ein ehrenhafter Kopfgeldjäger, der nicht zögerte, zu töten, wenn er bedroht wurde, aber er war kein Mörder. Bisher hatte Maeves Enkel sich ihm gegenüber stets betont freundlich verhalten. Durin hatte nicht wirklich daran geglaubt, dass es ihm damit ernst war, trotzdem kränkte und beunruhigte ihn die überraschende Wandlung in Melrems Wesen. Langsam folgte er Melrem die Treppe hinab und betrat die Kajüte des Kapitäns als Letzter der geladenen Gäste. Außer Caiwen, Melrem und dem Kapitän war, was Durin nicht wirklich überraschte, auch der Erste Offizier der Annaha anwesend.
Durin begrüßte ihn und den Kapitän mit einem kurzen Kopfnicken, übersah Melrem auffällig unauffällig und wandte sich dann mit einem »Gut siehst du aus« an Caiwen, die sich abwandte,
ohne seine freundlichen Worte zu erwidern. Ihr verfilztes Haar war jetzt ordentlich gekämmt und wurde von einer perlenbesetzten Haarspange zurückgehalten. Das Gesicht war sauber und es gab keine Spuren von Erde mehr unter ihren Fingernägeln. Die Kleidung, die sie gewählt hatte, hätte allerdings auch gut zu einem Jungen gepasst. Caiwen trug eine geschnürte Bluse und darüber eine Weste aus hellem Leder. Dazu eine dunkelblaue Matrosenhose.
»Nun, da wir alle beisammen sind, möchte ich zunächst unseren Ehrengast begrüßen, dessen lange und bittere Einsamkeit auf dem Riff wir, die Götter seien gepriesen, heute beenden konnten.« Der Kapitän war aufgestanden, hob seinen silbernen Weinpokal und prostete Caiwen zu. »Ihr müsst wissen, dass wir die gefahrvolle Reise allein um Euretwillen auf uns genommen haben«, fuhr er fort. »Umso mehr freut es mich, dass wir erfolgreich waren und Euch wohlbehalten zurück in die Heimat bringen können. Ich hoffe, das bescheidene Mahl«, er deutete auf die überreich mit Früchten, Braten und sonstigen Leckereien gedeckte Tafel, »wird Euch einen kleinen Vorgeschmack auf das geben, was Ihr in Tamoyen zu erwarten habt.«
»Meine Großmutter ist überaus wohlhabend«, fügte Melrem hinzu. Der Kapitän warf ihm einen missbilligenden Blick zu und fuhr dann fort: »Es wäre mir eine Freude,
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