Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
sie zu Merla gesagt hatte: Nichts hätte sich geändert, wären sie geblieben. Aber jetzt konnte sie etwas verändern. Sie konnte verhindern, dass sich die Geschichte wiederholte. Doch die Zeit wurde knapp. Die Brochonier würden schnell handeln.
Quintéa
Hell und strahlend ging die Sonne über Arida auf und tauchte die Stadt der Könige in ihr rotgoldenes Licht. Nicht eine Wolke war am Himmel zu sehen und es versprach ein schöner Tag zu werden. Trügerisch schön.
Denn über der weißen Stadt lag der Schatten der Furcht. Heute gab es keinen Markt im unteren Ring der Stadt, kein Händler zog mit seinem Wagen durch die Straßen. Niemand spazierte durch die gepflegten Straßen des oberen Rings und ebenso fehlte das ewige Schwatzen der Hausfrauen. Stattdessen huschten Menschen mit ängstlichen Gesichtern durch die Gassen. Keiner sprach. Hier und da waren die Türen und Fenster der Häuser zugenagelt und ab und zu stand ein vollgepackter Karren vor der Tür, doch noch konnte sich niemand dazu durchringen zu fliehen. Nur aus den Schmieden drang das Geräusch von Hammer und Amboss und zerriss die Stille, welche die ganze Stadt einzuhüllen schien.
Der Hafen jedoch war außergewöhnlich belebt. Kaum ein Schiff ankerte noch in Arida, doch heute hatte sich eine große Menschenmenge hier versammelt. Mitten im Hafenbecken lag ein Schiff, das nicht zur Handelsflotte von Anoria gehörte. Es war riesig und schwarz, eine Verkörperung des Schattens der Furcht, der alle erfasst hatte.
Es war ein brochonisches Schiff.
Drei dunkle Gestalten verließen den Segler. Jene, die vorn in der Menschentraube standen, zogen sich hastig zurück, während die hinter ihnen Stehenden nach vorn drängten. Die Angst der Menschen war begründet, denn bei den Fremden handelte es sich um Brochonier.
Sie waren die größten Lebewesen, die man je in Anoria gesehen hatte. Zwei von ihnen waren bewaffnet und trugen Kettenhemden. Aber es waren nicht die beiden Soldaten, welche die Anorianer in Panik versetzten. Der dritte Mann war etwas kleiner und schlanker als die Krieger, doch sein Gesichtsausdruck war eiskalt und er blickte voller Grausamkeit und Hass um sich. Ein Druide.
Ohne sich um die gaffende Menge zu kümmern, stolzierten sie durch die Straßen der Stadt der Könige in Richtung Palast. Zurück ließen sie eine verschreckte Menge. Jeder Zweifel, den so mancher über die Bedrohung durch die Brochonier gehegt hatte, war nun verschwunden.
„Was ist geschehen?“, mit dem Schwert in der einen und einem Dolch in der anderen Hand kam Pierre durch den Säulengang des Palastes gerannt. Atemlos blieb er vor drei weiß gekleideten Gestalten stehen.
„Ich habe das Schiff im Hafen gesehen, aber niemand konnte mir etwas sagen.“
Ein Elf, Philipus, lächelte: „Und du nennst dich General.“
„Ich kann nicht überall gleichzeitig sein.“ Aber hinter Pierres mürrischem Ton verbarg sich Erleichterung. Offensichtlich hatte sich nichts Schlimmes ereignet. Dennoch warf er Philipus einen letzten zornigen Blick zu, bevor er sich an Arthenius und Philipe, die beiden anderen Kandari, wandte: „Also, was ist los?“
„Ein Botschafter“, Arthenius’ Stimme klang abwesend, „die Brochonier haben einen Druiden geschickt. Er spricht gerade mit Julien.“
„Und wo ist François? Er sollte als Ratgeber beim König sein.“
„Nein, das sollte er nicht. Dies ist die Entscheidung der Menschen, vielleicht ihre letzte Möglichkeit, einen anderen Weg zu wählen. Wir sollten uns nicht einmischen.“ Philipe sprach ruhig und beherrscht wie immer, eine Haltung, die Pierre nicht unbedingt teilen konnte. Normalerweise vertraute er den Menschen und ihren Entscheidungen, doch ebenso bewusst war ihm, wie dringend die Kandari Verbündete brauchten. Und er fürchtete die Macht der brochonischen Druiden. Er sprach seine Zweifel nicht aus, doch das musste er auch nicht. Philipus, der seine Gedanken wahrgenommen hatte, sah ihn ernst an: „Du unterschätzt Julien. Niemals würde er etwas tun, das sein Volk gefährden könnte, und er lässt sich nicht täuschen.“
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Thronsaals und die drei Brochonier traten in den Säulengang. Der Druide in seinem dunklen, mit düsteren Symbolen bedeckten Mantel musterte die vier Kandari kalt und verächtlich, bevor er seinen Blick auf Philipus fixierte. Dieser begegnete den eisigen Augen des Brochoniers ruhig und gelassen, bis der Druide den Blick abwandte. Flankiert von
Weitere Kostenlose Bücher