Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
gewesen wäre.“
In diesem Moment wünschte sich Julius, ebenfalls hierbleiben zu können und nichts anderes zu tun, als die Wunder des Lebens zu entdecken. Ferner denn je erschien ihm der Gedanke an Krieg und Tod.
„Die Zeit drängt. Wir müssen weiter.“
Larenias Hast war ihm unverständlich, doch ihre Worte klangen so entschieden, dass er sich, wenn auch widerstrebend, in Bewegung setzte.
Einfach und wundervoll erschien Julius ihre heutige Wanderung. Schon nach kurzer Zeit verließen sie den Weg, auf dem sie gestern die Berge überquert hatten, wieder. Doch in diesem Wald war das Gehen kein Kampf gegen das Unterholz, im Gegenteil. Der Waldboden war bedeckt von Moos und kurzem, weichen Gras, die Bäume waren hochgewachsen mit geraden Stämmen und silbrig schimmernder Rinde. Mit träumerischem Blick spazierte Julius hinter der Gildeherrin her. Oft blieb er stehen, um die Farbe eines Blattes, den Wuchs eines Baumes zu betrachten.
Auch Larenia ging langsam, mit leerem Blick und angespanntem Gesicht. Sie änderte so oft die Richtung, dass Julius die Orientierung längst verloren hatte. Erst als sie stehen blieb, wachte Julius etwas auf.
Inzwischen war es Nachmittag. Lange Schatten lagen zwischen den Bäumen und verliehen dem Wald etwas Gespenstisches, Unheimliches. Überall, in jedem Winkel, glaubte Julius Bewegungen zu sehen. Auch Larenia trug nicht unbedingt zu seiner Beruhigung bei. Im Gegenteil. Sie bedeutete ihm mit einer knappen Geste, still zu sein und zurückzubleiben. Dann trat sie aus dem Schatten der Bäume heraus auf eine kleine Lichtung. Gut sichtbar und für jeden ein leichtes Ziel.
Einen Augenblick lang stand sie reglos im Sonnenlicht. Dann schob sie die Kapuze ihres Mantels vom Kopf und Julius schauderte in seinem Versteck. Sie hatte ihre letzte Deckung aufgegeben, ihr helles Haar funkelte verräterisch und niemand hätte sie jetzt noch übersehen können. Der Wald selbst schien den Atem anzuhalten. Nichts war zu hören, nicht einmal das Zwitschern eines Vogels oder das Rascheln des Windes in den Blättern. Nie zuvor war sie ihm so schön und so verletzlich erschienen.
Plötzlich zerschnitt ein scharfes Zischen die Stille des Waldes. Ein dunkler Schatten löste sich aus dem gegenüberliegenden Gebüsch und flog unglaublich schnell auf sie zu. Und mit der gleichen blitzartigen Geschwindigkeit bewegte sich Larenia. Sie fing den Pfeil, denn darum handelte es sich, nur eine Handbreit von ihrer Brust entfernt auf.
„Wenn du mich töten willst“, sie ließ den Pfeil zu Boden fallen, „dann musst du dir etwas Besseres einfallen lassen, Merla.“
Aus dem Schatten gegenüber von Julius’ Versteck trat eine dunkle Gestalt. Sie schien sich aus dem Zwielicht der Bäume zu materialisieren und mit dem Bogen in der einen und einem Köcher voller Pfeile in der anderen Hand glich sie mehr einem Waldgeist als einem wirklichen, lebenden Wesen. Und doch handelte es sich bei der Erscheinung um ein Lebewesen aus Fleisch und Blut, wie Julius schnell erkannte.
Tatsächlich war es eine Elfe. Doch sie ähnelte Larenia auf keine Weise.
Sie war groß und, zumindest für eine Elfe, kräftig, mit kurz geschnittenem, braungoldenem Haar und grünen Augen. Das erstaunte Julius, denn er hatte bisher geglaubt, alle Elfen hätten blaue Augen wie die Mitglieder der Gilde der Zauberer. Keiner des Elfenvolkes alterte, doch das Gesicht der Fremden wirkte müde und verbittert, und obwohl sie sich gerade hielt und jede ihrer Bewegungen Kraft ausstrahlte, schien das Gewicht vieler Jahrhunderte auf ihren Schultern zu liegen.
Kalt und verächtlich sah sie auf Larenia herab.
„Du hättest nicht kommen sollen. Und auf keinen Fall hättest du einen Menschen mit hierherbringen dürfen.“
Julius, der sich vorsichtig zur Seite bewegt hatte, um die beiden Elfen besser sehen zu können, erstarrte mitten in der Bewegung. Larenia jedoch zuckte nur leicht mit den Schultern und erwiderte gelassen Merlas feindseligen Blick.
„Seine Anwesenheit entspricht durchaus nicht meinen Wünschen.“
„Trotzdem. Für Verräter gibt es kein Zurück. Das gilt auch für dich.“
Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte Larenia ihr antworten, doch dann seufzte sie nur: „Ich bin nicht hier, um mich zu rechtfertigen.“
„Sonderbar. Für mich war dies der einzige Grund, dich bis hierher kommen zu lassen. Wir haben uns nichts mehr zu sagen.“
Merla wandte sich ab. Sie hatte den Waldrand fast erreicht, als Larenia endlich
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