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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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hoffte, der Junge würde sie wahrheitsgemäß beantworten und im Zeugenstand außerdem nicht die Fassung verlieren, obwohl es in letzter Zeit Anzeichen dafür gegeben hatte. Doch am meisten fürchtete er sich davor, dass die Mutter des Jungen im Gerichtssaal eine Szene machte und auf diese Weise der Anklage in die Hände spielte. Darüber hinaus hoffte er, dass sie ihre unsinnige Idee, die Geschworenen zu bestechen, aufgegeben und nicht zu allem Überfluss noch versucht hatte, sich mit ähnlich gearteten Vorschlägen den Vertretern der Anklage zu nähern. Er legte nämlich keinen Wert darauf, im nächsten Jahr womöglich noch einmal ein Mitglied der Familie Bentley vor Gericht zu vertreten.
    In Leyville lag Margaret Richmond hellwach in ihrem Bett und wusste, dass ihre Sorgen sie nicht schlafen lassen würden. In wenigen Wochen würde es im Haus keinen Montignac mehr geben. Sie würde allein sein. Dann wäre das Anwesen dem National Trust übergeben worden, und es wäre vermutlich nur noch eine Frage der Zeit, ehe man sie auffordern würde, auszuziehen. Es war zwar nicht ausgesprochen worden, doch sie war sicher, dass Stellas Entscheidung ein Racheakt war. Jawohl, Stella rächte sich für das, was vor zehn Jahren vorgefallen war, dabei hatte sie damals nur versucht, im Interesse des Mädchens zu handeln. Aber was wäre, wenn Stella in die Schweiz führe und Anstalten machte, dort ihren Sohn aufzuspüren, den Jungen, von dem Owen dachte, dass er nie geboren worden war, den Jungen, von dem sie ihm gesagt hatte, dass es ihn nicht gab? Würde dann nicht nur neuer Kummer und neues Leid entstehen?
    In der luxuriösen Suite des Lordkanzlers in Westminster beschloss Lord Hailsham, das Komitee seiner Berater für Anfang der nächsten Woche wieder einzuberufen. Dann würden sie die endgültige Entscheidung treffen, denn noch mehr Skandale und Tratsch würde das Land nicht verkraften, und zudem drängte der Premierminister auf eine klare Antwort. Hailsham hoffte, bis dahin wäre der Fall Bentley abgeschlossen, doch selbst wenn nicht, musste die Sache zu einem Ende gebracht werden.
    Lord Keaton schlief tief und fest. Gegen Morgen träumte er von der Suite des Lordkanzlers in Westminster und der Zukunft, die vor ihm lag, von dem Geburtsrecht seiner Vorfahren, das ihm genommen worden war und in wenigen Tagen zurückgegeben würde; von einem Land mit fester Ordnung, in dem kein närrischer Monarch sein Unwesen trieb.
    Im Buckingham-Palast lag König Edward VIII. allein in seinem Bett. Er schlief nicht, denn ihn quälte der Zwiespalt zwischen Liebe und Pflicht. Dann wieder fragte er sich, warum er nicht das tun konnte, was er sich wünschte, und seit wann man ihm überhaupt etwas verwehrte, denn das war bisher noch nie vorgekommen. Er dachte an die Prophezeiung seines verstorbenen Vaters, nach der sein Sohn die Monarchie schon Monate nach dem väterlichen Tod vernichtet habe. Aber er wusste, was er wollte, ebenso wie er wusste, ohne wen er nicht leben konnte. Wenn das bedeutete, auf den Thron zu verzichten, auf sein Geburtsrecht immerhin, dann sollte es eben so sein. Er wollte nicht länger auf seine Hochzeit warten. Seit Jahren drängte man ihn, sich eine Frau zu nehmen, und nun hatte er eine gewählt, und da hieß es plötzlich, man könne sie nicht akzeptieren. Es war die reine Ironie.
    Stella Montignac träumte von Amerika. In ihrem Traum befand sie sich bereits auf dem Luxusdampfer, der sie dorthin bringen würde. Als sie wach wurde, sagte sie sich, dass sie noch keine dreißig Jahre alt war und außerdem reich, intelligent und schön. Sicher, Raymond fehlte ihr, mehr als sie gedacht hatte, und das würde wohl auch so bleiben, doch sie würde ihr Leben nicht als Trauernde verbringen. Es gab auch andere Wege, zu leben, andere Männer, die man kennenlernen konnte. Vielleicht würde sie sich eines Tages sogar wieder verlieben. Sie hatte Raymond nicht geliebt, natürlich nicht, aber sie hatte ihn gern gehabt. Sie berührte ihre Wange, auf die Owen sie geschlagen hatte. Der Schmerz war mittlerweile vergangen, doch die Erinnerung an diese selten gewordene Intimität zwischen ihr und ihrem Cousin war geblieben.
    Roderick und Jane Bentley lagen im Bett, zwischen ihnen eine Lücke. Keiner von beiden sagte etwas, jeder atmete leise und stellte sich schlafend, um jedes weitere Gespräch zu vermeiden. Sie

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