Das Vermächtnis der Montignacs
mir schon, dass Sie so etwas sagen würden.« Roderick zog einen Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts hervor und legte ihn auf den Schreibtisch. Er war an den Lordkanzler von England gerichtet. »Ãffnen Sie ihn lieber nicht, bevor Sie die Position haben«, riet er. »Man könnte Ihnen sonst vorwerfen, gegen das Briefgeheimnis verstoÃen zu haben.«
Keaton furchte die Stirn und griff nach dem Umschlag. »Was ist das?«
»Mein Rücktrittsgesuch«, antwortete Roderick. »Haben Sie im Ernst geglaubt, nach dem, was ich tun werde, bliebe ich im Amt?«
»Ist das nicht ein wenig melodramatisch?«
»Für mich nicht. Ich verlasse Ihr Büro heute mit so etwas wie dreiÃig Silberlingen in der Tasche. Ich könnte mich nicht mehr im Spiegel ansehen, wenn ich weiterhin dächte, ich hätte das Recht, Urteile zu fällen. Diese Legitimation ist mir abhandengekommen.«
Seufzend schüttelte Keaton den Kopf. »Offenbar haben Sie einen Hang zum Drama«, sagte er, woraufhin Roderick ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. »Also gut, ich bewahre diesen Brief auf und lese ihn erst dann, wenn diese Geschichte vorüber ist. Aber selbst danach möchte ich Ihr Gesuch eigentlich nicht annehmen.«
»Sie werden keine andere Wahl haben. Ab heute können Sie mich als Mann betrachten, der in Pension ist. Nach der Weihnachtspause bin ich weg.«
Keaton zuckte mit den Schultern. »Wenn das Ihr Wunsch ist. Ich persönlich halte es für einen groÃen Fehler.«
»Von denen habe ich etliche gemacht«, erwiderte Roderick. »Aber nie, während ich die Robe des Richters getragen habe. Und die werde ich auch künftig nicht beschmutzen.«
Keaton zog die Schreibtischschublade auf, holte ein Schreiben hervor und schob es Roderick zu.
»Was ist das?«
»Ihr Stimmzettel. Ich habe Hailsham erklärt, dass Sie aufgrund Ihrer familiären Probleme nicht an unserer nächsten und letzten Sitzung teilnehmen werden, die Entscheidung jedoch mitbestimmen möchten. Er weiÃ, dass wir das Für und Wider erörtert haben. Mit Ihrer Unterschrift auf diesem Stück Papier ermächtigen Sie mich, an Ihrer Statt zu sprechen und zu entscheiden.«
Roderick nahm das Schreiben und las den Text, der kurz und bündig bestätigte, was Keaton ihm gerade mitgeteilt hatte. Als er hochschaute, reichte Keaton ihm einen Füllfederhalter.
»Sie tun es für Ihren Sohn«, raunte Keaton. »Ebenso wie für Ihr Land, auch wenn Sie das im Moment vielleicht noch nicht einsehen können.
Wortlos nahm Roderick den Füllfederhalter, unterschrieb so aufgebracht, dass die Spitze das Papier einritzte, stand auf und wandte sich zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. »Wie geht es jetzt weiter. Womit kann ich rechnen?«
»Sie können aufatmen. Ich vermute, Ihr Sohn wird schuldig gesprochen werden. Entweder morgen Vormittag oder spätestens am Nachmittag. Das Beratungskomitee trifft sich am Morgen mit Hailsham. Danach spricht er mit dem Premierminister, der sich, soweit ich weiÃ, kurz nach Mittag mit dem König zusammensetzt. Ihr Sohn erhält eine leichte Strafe, einige Monate Gefängnis, vielleicht auch ein Jahr, länger jedoch nicht. Was danach geschieht, wissen die Götter.«
»Er könnte für eine Ãberraschung sorgen«, sagte Roderick.
»Wer?«
»Der König. Er ist aus hartem Holz geschnitzt.«
Keaton lachte. »Offenbar kennen Sie ihn nicht.«
»Stimmt, aber man kann trotzdem nie wissen. Was ist, wenn er sich von ihr trennt?«
»Dann hätte ich verloren«, antwortete Keaton gleichmütig. »Und es gäbe auch nichts mehr, was ich dagegen tun könnte. Was weià ich, wer in diesem Fall zuletzt lacht. Wie dem auch sei, ich werde Ihre Stimme in meinem Sinn verwenden, mit Sharpwell reden, und Ihrem Sohn wird kein Haar gekrümmt. Ich bin ein ehrenhafter Mann, Roderick, und habe meinen Teil einer Abmachung stets eingehalten.«
Roderick öffnete die Tür.
»Er hätte in Ihre FuÃstapfen treten sollen«, rief Keaton ihm nach. »Damit meine ich Ihren Sohn. Wenn er doch nur das getan hätte, was Sie â«
Roderick schloss die Tür hinter sich und hörte den Rest nicht mehr. Schwerfällig ging er die Treppe nach unten und trat hinaus in den frühen Dezemberabend. Durch den leichten Nieselregen betrachtete er die dunklen
Weitere Kostenlose Bücher