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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Parlamentsgebäude entlang der Themse und wünschte sich, weit fort zu sein.

6
    Am nächsten Morgen beschloss er, nicht in den Old Bailey zu gehen. Stattdessen setzte er sich in sein Arbeitszimmer und ließ seinen Blick über die Rücken der Gesetzesbücher gleiten, die den Großteil seiner Bibliothek ausmachten. Er überlegte, ob er sie in Kisten verpacken sollte, denn er konnte sie kaum ansehen, ohne sich wie ein Verräter an seinem gesamten bisherigen Leben zu fühlen. Als er den Blick von den Büchern abwandte, fiel dieser auf das Foto seines Sohnes, das auf dem Schreibtisch stand. Es zeigte einen jüngeren, sorglosen Gareth, der mit breitem Grinsen in die Kamera schaute und die Zukunft noch vor sich hatte.
    Â»Bist du noch nicht so weit?«, fragte Jane im Hereinkommen. Sie war dabei, einen Ohrring zu befestigen, und sah sich um, als hätte sie etwas verloren.
    Â»Zu was?«
    Â»Um zum Gericht zu fahren, wozu denn sonst?«
    Er wich ihrem Blick aus. »Ich komme nicht mit. Heute nicht.«
    Jane erstarrte. »Aber das musst du.«
    Â»Ich muss gar nichts«, fuhr er auf. »Ich kann das nicht mehr ertragen.«
    Jane lachte auf. »Ja, glaubst du denn, ich könnte das? Bitte, mach dich fertig. In zehn Minuten brechen wir auf.«
    Â»Ich habe gesagt, dass ich nicht mitkomme«, rief Roderick, sprang auf und trat auf sie zu. »Warum hörst du mir nie zu? Wenn ich sage, ich fahre nicht mit zum Gericht, dann meine ich das so und nicht anders. Wenn es nach mir geht, werde ich nie mehr einen Gerichtssaal betreten.«
    Â»Ist das dein Ernst?«, fragte sie erstaunt.
    Â»Voll und ganz.«
    Â»Und was ist mit Gareth? Es kann sein, dass der Richter die Geschworenen heute zur Beratung schickt. Glaubst du nicht, Gareth sollte wissen, dass wir hinter ihm stehen?«
    Â»Das weiß er schon.«
    Jane sah ihren Mann an und konnte nicht fassen, dass er sie an einem solch entscheidenden Tag im Stich lassen wollte. Sie öffnete den Mund, um weiter zu argumentieren, und schloss ihn wieder. Ihr war ein Gedanke gekommen. »Dann hast du es also getan?«
    Â»Was?«
    Â»Du kommst nicht mit, weil du weißt, dass Gareth in Sicherheit ist. Du hast deine Stimme der Gegenseite gegeben.«
    Roderick wandte den Blick ab und nickte kaum merklich. Jane stieß einen tiefen Seufzer aus.
    Â»Ich wusste es«, sagte sie. »Ich wusste, dass du mich nicht enttäuschen würdest.«
    Â»Hättest du jetzt keinen Grund, enttäuscht zu sein?«
    Â»Nein. Du hast getan, was du tun musstest. Für unseren Sohn. Es gibt nichts, für das du dich schämen musst.«
    Â»Und warum schäme ich mich dann?«
    Â»Roderick, bitte.«
    Â»Ja, glaubst du denn wirklich, wir hätten Grund, zu frohlocken? Gut, ich habe meine Entscheidung geändert, und deshalb wird Keaton mit dem Richter sprechen und Gareth nicht zum Tod verurteilt werden. Und wie geht es dann weiter? Man wird Gareth trotzdem schuldig sprechen, und er wird eine Gefängnisstrafe erhalten.«
    Â»Das kannst du nicht wissen«, rief Jane aufgebracht.
    Â»Nein? Wie lange war ich Anwalt, Jane? Wie lange habe ich auf dem Richterstuhl gesessen? Ich kann in den Gesichtern der Geschworenen lesen, der Beweisführung folgen und entsprechende Schlüsse ziehen. Wenn Quentin nichts mehr auf Lager hat, ist der Schuldspruch unausweichlich. Glaubst du wirklich, Gareth würde eine Gefängnisstrafe überleben? Sieh ihn dir doch an, er ist ja nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Jahre im Gefängnis werden sein Untergang sein. Das Einzige, was ich getan habe, war, seine Qual zu verlängern.«
    Jane hob abwehrend die Hände. Von solchen Schreckensbildern wollte sie nichts hören. »Ich muss los«, erklärte sie. »Du kannst hierbleiben, wenn du das möchtest, aber ich fahre zum Gericht. Ich kann nicht zulassen, dass Gareth das Urteil hört, ohne meinen seelischen Beistand zu haben.«
    Â»Gut, wir sehen uns heute Abend wieder.«
    Jane überlegte, ob sie ihren Mann umstimmen konnte, doch dann verwarf sie den Gedanken. Er hatte das getan, was sie gewollt hatte, und dafür gesorgt, dass das Leben ihres Sohnes – das Leben des Sohnes, der ihr gehörte – nicht gefährdet war. Das war das Einzige, was zählte. Über alles, was danach geschah, würde sie sich später den Kopf zerbrechen. Ohne ein weiteres Wort verließ sie das Arbeitszimmer, griff

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