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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Andrew misstrauisch. »Warum war er noch nie hier und hat mit uns gespielt oder ist zu einer meiner Geburtstagsfeiern gekommen?«
    Â»Weil er in Frankreich gelebt hat«, erklärte Ann. »Das ist viel zu weit weg, um nur für eine Feier herzukommen.«
    Â»Aber bis jetzt hast du noch nie von ihm gesprochen«, betonte Andrew, dem die Vorstellung nicht behagte, einen weiteren Jungen ins Haus zu bekommen, der ihm seine sorgfältig aufgebaute Machtposition streitig machen konnte.
    Â»Natürlich habe ich schon von ihm gesprochen. Wir haben euch oft von eurem Cousin Owen erzählt.«
    Â»Bisher hast du seinen Namen kein einziges Mal genannt«, beharrte Andrew und traf damit ins Schwarze, denn Owens Name war vorher nie erwähnt worden. »Und was ist überhaupt mit seinen Eltern passiert?«
    Ann ließ ihre Kinder in der Bibliothek Platz nehmen und versuchte, es ihnen so schonend wie möglich beizubringen.
    Â»Ihr wisst doch, dass zurzeit Krieg herrscht, nicht wahr?«
    Die Kinder nickten. Darüber wussten alle Bescheid, es wurde ja über nichts anderes mehr gesprochen. Sie hatten sogar Freunde, deren Väter in diesem Krieg kämpften, nur ihr Vater nicht, denn er hatte in London wichtige Geschäfte, um die er sich kümmern musste.
    Â»Und euer Onkel, Owens Vater, ist in einer Schlacht gefallen. Seine Frau –«
    Â»Unsere Tante«, warf Andrew ein.
    Â»Seine Frau«, wiederholte Ann, »sie ist in einer Fabrik bei einer Explosion umgekommen. Aber sie war ja auch Französin«, fügte sie hinzu, als habe sie sich ihren Tod deshalb selbst zuzuschreiben. »Vor einigen Jahren hat sie hier im Haus gewohnt, aber das war noch vor dem Ganzen.«
    Â»Sie hat bei uns gewohnt?« Andrew riss die Augen auf.
    Â»Das war lange vor deiner Geburt«, sagte Ann. »Ich selbst habe sie nie kennengelernt. Als euer Großvater noch lebte, war sie hier eines der Dienstmädchen.«
    Andrew ließ sich das durch den Kopf gehen, konnte sich jedoch keinen Reim darauf machen. »Heißt das, unser Onkel hat eines unserer Dienstmädchen geheiratet?«, fragte er ungläubig.
    Â»Das war vor langer Zeit«, antwortete Ann und bereute es schon, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben. »Inzwischen spielt es keine Rolle mehr. Wichtig ist nur, dass wir ihren kleinen Jungen bei uns willkommen heißen, denn er hat sonst niemandem, zu dem er gehen kann. Und wenn man sich in solchen Zeiten nicht auf seine Familie verlassen kann, auf wen dann?«
    Stella, die bisher geschwiegen hatte, sagte leise: »Ich werde ihn willkommen heißen.«
    Eine Weile später standen die Kinder an der Tür und schauten angespannt auf den Wagen ihres Vaters, der ihnen über die Einfahrt entgegenkam.
    Â»Na«, fragte Peter seinen kleinen Schutzbefohlenen, »was sagst du dazu? Hier ist dein Vater aufgewachsen, weißt du. Prachtvoll, oder? Vielleicht hat er das Haus ja dann und wann erwähnt?«
    Montignac glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Ihr Haus in Clermont-Ferrand hatte ihm zwar gut gefallen, aber es war klein gewesen, wenn auch so gemütlich, dass sich drei Personen darin ohne Weiteres hatten wohlfühlen können. Dieses Haus hingegen war hochherrschaftlich und glich den Schlösschen, die er gesehen hatte, als seine Eltern mit ihm einen Ausflug nach Versailles gemacht hatten. Er war davon ausgegangen, dass solche Gebäude nur für Besucher waren oder Museen beherbergten, aber nicht, dass in ihnen tatsächlich Menschen wohnten. Vor Erstaunen blieb ihm der Mund offen stehen, und er konnte kaum fassen, dass er dort künftig leben sollte.
    Â»Da in der Tür stehen deine Tante und dein Cousin und deine Cousine«, fuhr Peter fort und hielt den Wagen an. »Sie werden dafür sorgen, dass du dich hier wie zu Hause fühlst.«
    Bisher hatte sein Onkel ihn eher geängstigt, doch als Owen den anderen vorgestellt wurde, blieb er dicht an seiner Seite. Den Umgang mit Kindern war er aus Frankreich gewöhnt, aber diese beiden, die sich Andrew und Stella nannten, schienen ihm von einem anderen Stern zu kommen. Sie waren sauber und fein gekleidet, wohingegen seine früheren Freunde nur ein- oder zweimal in der Woche gebadet und abgenutzte Kleidung getragen hatten. Jeder der beiden reichte ihm höflich die Hand und fragte: »Wie geht es dir?« Als er zur Antwort ebenso höflich nickte und »Bonjour«, sagte, wirkten sie

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