Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
dichten Schleiern über die Insel gebreitet hatte und auf das Dach der Hütte prasselte.
Was die Frau sagte, war so unerhört, dass es selbst Scrymgour die Sprache verschlug. Sollte es das Schicksal nach so vielen Rückschlägen tatsächlich gut mit ihm meinen? Sollte diese Frau wirklich sein, was sie vorgab?
»Dieser Goldschatz, von dem Sie immerzu sprechen – wo ist er zu finden?«, wollte er wissen.
»Erwarten Sie ernstlich, dass ich Ihnen das sage?«
»Es wäre ein Vertrauensbeweis.«
»Ich habe mich Ihnen offenbart, Scrymgour, das sollte Ihnen Beweis genug sein«, konterte sie. »Alles andere wird sich ergeben, wenn wir das Gold gefunden haben. Und wir stehen kurz davor.«
»Wir?«, hakte er nach. »Sie sind nicht allein?«
»Das habe ich nie behauptet«, entgegnete sie. »Wir haben die Spur des Goldes lange Zeit verfolgt. Der letzte, entscheidende Hinweis auf seinen Verbleib ist in einer mittelalterlichen Genealogie der schottischen Könige hinterlegt.«
»Ist das alles, was Sie darüber wissen?« Scrymgour schnaubte. »Davon dürfte es Dutzende geben, über das ganze Land verstreut!«
»Durchaus nicht. Wir wissen inzwischen, dass es sich um einen von Benediktinermönchen abgefassten Kodex handelt, der in der Bibliothek des Klosters von Dunfermline verwahrt wird, der letzten Ruhestätte von zweiundzwanzig schottischen Königen …«
»… unter Ihnen Robert the Bruce«, vervollständigte Scrymgour. »Glauben Sie, das wüsste ich nicht? Doch wie es scheint, sind Sie nicht umfassend informiert, denn die Bibliothek der Benediktiner existiert längst nicht mehr! Sie wurde in den Wirren der Reformationszeit aufgelöst.«
»Das ist richtig.« Brighid nahm den Einwand gelassen hin. »Jedoch blieben ihre Bestände erhalten und haben die Jahrhunderte überdauert. Ein guter Teil davon befindet sich heute im Besitz eines Sammlers, dessen Name Ihnen vielleicht bekannt sein dürfte: Walter Scott.«
»Scott?«, echote Scrymgour ungläubig. Schon die Nennung des Namens war wie ein Schlag ins Gesicht. »Scott!«
»Ich kann mir denken, dass das bei Ihnen Erinnerungen weckt«, sagte sie mit kaltem Lächeln, »schließlich hat Scott Ihnen und Ihren Leuten übel mitgespielt. Aber Sie haben sich ja dafür gerächt, nicht wahr?«
»Wovon sprechen Sie?«
Sie sah ihn forschend an, wobei ihre Mundwinkel verächtlich herabfielen. »Kommen Sie, Scrymgour! Wollen Sie mir ernstlich erzählen, Sie hätten nichts mit dem Ableben Walter Scotts zu tun? Soweit ich weiß, wurde er aus dem Hinterhalt erschossen.«
»Das entspricht auch meiner Kenntnis«, versicherte Scrymgour, »aber die Bruderschaft hatte nichts damit zu tun.«
Sie taxierte ihn weiter, und es war nicht ersichtlich, ob sie seinen Worten Glauben schenkte. »In jedem Fall«, sagte sie schließlich, »ist es eine merkwürdige Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet der Mann, der die Bruderschaft und ihr Ansinnen mit aller Kraft bekämpft hat, ihr nun zum endgültigen Sieg verhilft. Denn das Buch, nach dem wir suchen, jene Genealogie der Könige, befindet sich in der Bibliothek von Abbotsford.«
»Abbotsford«, echote Diarmid of Scrymgour.
Zu mehr war er nicht fähig, denn in diesem Augenblick streifte ihn der Odem der Vorsehung. Ein wohliger Schauer durchrieselte ihn, und all die Vorbehalte und Zweifel, die er bislang gehegt hatte, traten in den Hintergrund. Jäh begriff er, dass dies eine historische Chance war, eine Gelegenheit, die er ergreifen musste, wenn er seinen Namen in den Marmor der Geschichte gemeißelt sehen wollte.
»Dann werden wir nach Abbotsford gehen und dieses Buch beschaffen«, erklärte er kategorisch.
»Das ist nicht nötig.« Sie schüttelte den Kopf. »Während wir uns hier unterhalten, wird bereits danach gesucht.«
»Von wem?«
»Das werde ich Ihnen zu gegebener Zeit enthüllen«, erwiderte sie schlicht. »Wie ich schon sagte, Scrymgour, bin ich nicht allein. Aber ich mache auch kein Hehl daraus, dass ich nicht über die Verbindungen verfüge, die nötig sind, um meine alten Rechte einzufordern. Verbindungen, von denen ich weiß, dass die Bruderschaft sie besitzt.«
»Das ist wahr«, räumte Scrymgour ein. »Der Arm der Bruderschaft ist lang.«
»Dessen bin ich mir bewusst«, bestätigte sie. »Es ist der Grund, warum ich hier bin. Wir brauchen einander, Scrymgour – die letzte legitime Erbin der Stewarts und die Bruderschaft der Runen. Nur gemeinsam werden wir zum Ziel gelangen.«
Scrymgour stand vor ihr und wog ihre Worte
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