Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
des Schranks, rückten beiseite und gaben den Zugang zu einer dahinterliegenden Kammer frei. Eine Treppe wand sich von dort aus steil in dunkle Tiefen.
»Erstaunlich!«, rief Mary verwundert aus.
»Ein geheimer Gang zu einem verborgenen Bereich der Bibliothek«, stellte McCauley staunend fest.
»So ist es«, stimmte Sir Walter zu, »und da Sie das Geheimnis nun kennen, werter Freund, möchte ich Sie bitten, auch darüber absolutes Stillschweigen zu bewahren.«
»Natürlich, Sir Walter«, entgegnete McCauley und verbeugte sich. »Ich weiß Ihr Vertrauen wirklich sehr zu schätzen, glauben Sie mir.«
»Und nun«, meinte Sir Walter und griff nach einer Gaslaterne, die er entzündete und Quentin in die Hand drückte, »ist der Zeitpunkt gekommen, nach den Geheimnissen der Vergangenheit zu forschen. Geht hinunter und durchsucht die Bestände. Wenn ihr etwas findet, das euren Verdacht erregt, bringt es nach oben, wo Mary und ich es vom Staub befreien und sichten werden.«
»Verstanden«, erklärte Quentin und nahm die Laterne entgegen. »Und wonach genau sollen wir Ausschau halten?«
»Wenn ich das wüsste, wäre die Aufgabe um vieles leichter«, gab Sir Walter seufzend zu. »Nehmt euch alles vor, was euch in irgendeiner Weise auffällig erscheint. Das ist alles, was ich euch raten kann.«
»Und du willst wirklich nicht mitkommen, Onkel?«, fragte Quentin, während er sich bereits anschickte, den Geheimgang zu betreten.
»Nein, danke.« Sir Walter winkte ab. »Die Zeiten, da ich selbst in finstere Grüfte gestiegen bin, um ihnen ihre Geheimnisse zu entreißen, sind vorüber. Zudem bin ich zuversichtlich, dass ihr beide meine Hilfe nicht benötigen werdet.«
Quentins Gesichtsausdruck verriet, dass er die Überzeugung seines Onkels keineswegs teilte, aber er nickte bereitwillig und stieg die Stufen hinab. McCauley folgte ihm. Schon im nächsten Moment waren beide im Treppenschacht verschwunden und mit ihnen auch der Lichtschein, der sie begleitete.
Sir Walter sah sich nach dem nächstbesten Lesesessel um und ließ sich ächzend darauf nieder.
»Ich verstehe dich nicht, Onkel«, gestand Mary, deren Blick zwischen der offenen Geheimtür und Sir Walter hin und her pendelte. »Wie kannst du nur so ruhig sein? Wenn sich dort unten tatsächlich verbirgt, wonach der Einbrecher gesucht hat …«
»Vielleicht ist es die Gelassenheit des Alters, mein Kind«, entgegnete Sir Walter. »Oder vielleicht bin ich in meinem Leben auch schon zu vielen Geheimnissen nachgespürt. Stattdessen würde ich mich lieber ein wenig mit dir unterhalten. Wie ist es dir in den Kolonien ergangen?«
Mary zögerte mit der Antwort. »Hast du Quentin nicht gefragt?«, erkundigte sie sich dann.
»Doch, aber er hat nur einsilbig geantwortet. Mein Neffe ist kein Freund großer Reden, wie du fraglos weißt.«
»Das ist wahr.« Sie nickte.
»Nun also? Willst du mir ein wenig darüber erzählen, wie es euch seit unserem letzten Zusammentreffen ergangen ist?«
»Gerne.« Sie zwang sich zu einem Lächeln, aber es wirkte unnatürlich, fast gequält. »Es ist schön in der Neuen Welt, wenn auch anders als erwartet.«
»Ein Neuanfang ist niemals einfach«, entgegnete Sir Walter.
»Ich weiß.«
»Aber die Hauptsache ist doch, dass ihr beide, Quentin und du, miteinander glücklich seid, nicht wahr?«
»Das stimmt.« Sie nickte und wechselte abrupt das Thema. »Darf ich dich etwas fragen, Onkel?«
»Natürlich, Kind. Was möchtest du wissen?«
»Ist es das wirklich wert?«
»Was meinst du?«
»Abbotsford«, erwiderte Mary. »Wer immer der geheimnisvolle Auftraggeber ist, der hinter Graham stand, er hat es auf etwas abgesehen, das sich hier befindet. Wäre es nicht besser, es ihm einfach zu überlassen?«
Sir Walter hob die Brauen. »Ist das dein Ernst?«
»Ich fürchte, ja.« Sie nickte. »Du hättest um ein Haar dein Leben verloren, es gab einen nächtlichen Überfall, ein Mensch wurde getötet. Ist es das alles wirklich wert?«
»Was schlägst du stattdessen vor, mein Kind? Jenen Kräften, von denen wir noch nicht einmal wissen, welche Absichten sie verfolgen, das Feld zu überlassen?«
»Starrsinn hat noch niemanden ans Ziel gebracht«, beschied Mary ihm bestimmt.
»Du nennst es Starrsinn, ich nenne es Beharrlichkeit«, konterte Sir Walter ruhig.
»Manchmal muss man Dinge loslassen.«
»Und manchmal muss man daran festhalten.«
»Und wenn man nicht mehr weiß, warum man daran festhalten soll?«, hakte Mary nach. »Wenn man den Grund
Weitere Kostenlose Bücher