Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
beim Laufen auf Quentin stützte. Hals über Kopf setzten sie auf das Gebäude zu und flüchteten sich in seinen dunklen Eingang, wo sie atemlos verharrten. So froh sie darüber waren, den Sektierern fürs Erste entkommen zu sein, so klar war ihnen doch, dass die Gefahr längst nicht gebannt war.
»Die Runenbruderschaft«, stieß Mary entsetzt hervor. »Ich wusste nicht, dass sie noch existiert!«
»Ich auch nicht«, gab Sir Walter zu. »Nach den Ereignissen von damals glaubte ich sie zerschlagen. Das war wohl ein Irrtum.«
»Denkst du, dass sie hinter allem steckt?«, fragte Quentin.
»Ich weiß es nicht, Junge.« Sir Walter schüttelte den Kopf. »Aber nach allem, was geschehen ist …«
Er verstummte plötzlich.
»Was hast du?«, wollte Quentin wissen.
Sein Onkel antwortete nicht. Sir Walters Blick war auf den Boden geheftet, wo er im Halbdunkel etwas entdeckt hatte. Er bückte sich und hob es vom Boden auf.
Es war ein Wollfaden.
»Was soll das?« Mary runzelte die Stirn.
»Nun«, entgegnete Sir Walter, und plötzlich lag wieder das alte spitzbübische Lächeln auf seinen Zügen, »ich würde sagen, dass wir den Faden wieder aufgenommen haben.«
Einen Augenblick lang war Diarmid of Scrymgour überzeugt davon, in einen bodenlosen Abgrund gestürzt zu sein und ein grausames Ende gefunden zu haben.
Noch immer wie von Sinnen schreiend, lag er auf dem Rücken wie ein Käfer und wand sich, suchte sich aus der Umklammerung des Todes zu befreien – bis ihm klar wurde, dass es sein eigener durchnässter Umhang war, der kalt und träge an ihm klebte und jede Bewegung zur Qual machte.
Panisch wühlte er sich daraus hervor. Dabei stellte er zu seiner Überraschung fest, dass er festen steinernen Boden unter sich hatte. Er war noch am Leben!
Der Abgrund, in den der Wasserfall stürzte, maß in Wahrheit nur wenige Handbreit!
Scrymgours Geschrei verstummte.
Er warf die nasse Robe ab, dann richtete er sich auf und sah sich um – und erblickte die Truhe.
Nur wenige Armlängen von ihm entfernt stand sie unter einem Felsvorsprung. Das Zwielicht, das durch den Wasservorhang fiel, tauchte sie in geheimnisvollen Schein.
Sie existierte tatsächlich!
Die Frau hatte die Wahrheit gesagt. Es gab diesen Schatz, und kein anderer als er hatte ihn gefunden! Ein Triumphschrei entrang sich seiner Kehle, und er wollte zu der Truhe eilen, um sie zu öffnen und sich an ihrem Inhalt zu ergötzen – als eine Stimme ihn scharf zurechtwies.
»Nicht so eilig, Scrymgour!«
Er fuhr herum. Brighid Stewart und ihr Handlanger waren ebenfalls durch den Wasserfall getreten und standen vor ihm. Und plötzlich fiel Scrymgour wieder ein, auf welch unfreiwillige Weise er seine Reise durch den Wasserfall angetreten hatte.
»Sie!«, schrie er und deutete dabei auf McCauley. »Haben Sie den Verstand verloren? Ich hätte dabei draufgehen können!«
»Ihnen ist nichts geschehen, oder?«, konterte der andere, der nur Augen für die Truhe hatte. »Und Sie haben offenbar gefunden, wonach wir suchen!«
»In der Tat«, stimmte Scrymgour zu und wandte sich ebenfalls wieder seinem Fund zu. »Sie haben tatsächlich die Wahrheit gesagt!«
»Haben Sie etwa daran gezweifelt?«
Brighid drängte sich an ihm vorbei, dabei zog sie einen silbern glitzernden Schlüssel unter ihrem durchnässten Umhang hervor. Ein Augenblick atemloser Spannung, als sie sich bückte und am Schloss der Truhe zu schaffen machte.
Dann das erlösende Klicken.
Das Schloss war aufgesprungen.
Scrymgour und McCauley eilten hinzu, um ihr beim Aufstemmen des schweren Deckels zu helfen. Stück für Stück wuchteten sie ihn nach oben, bis die Truhe endlich ganz offen stand. Voller Staunen blickten sie auf das, was sich in ihrem Inneren befand und seit acht Jahrzehnten darauf wartete, in Besitz genommen zu werden.
Gold.
Echtes, pures Gold.
In Barren gegossen, die sich säuberlich aneinanderreihten und mit dem Siegel Frankreichs versehen waren.
Während Brighid und McCauley kein Wort sprachen, konnte Scrymgour nicht anders, als seiner Begeisterung lautstark Ausdruck zu verleihen. »Heureka!«, rief er aus, während er mit bebenden Händen die glatte, glänzende Oberfläche des Goldes befühlte. »Endlich werden unsere Pläne wahr! Endlich, nach so vielen Jahren! Wir werden Waffen kaufen und Söldner, und wir werden dafür sorgen, dass wieder ein Stewart auf den Thron …«
In diesem Moment war von fern dumpfer Donner zu hören, der durch das Höhlenlabyrinth hallte.
Wieder und
Weitere Kostenlose Bücher