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Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Siegel des Testaments, entfaltete es und begann es laut zu verlesen.
    Im Grunde enthielt Sir Walters letzter Wille keine große Überraschung, dennoch traf die Verlesung des Textes Quentin wie ein Schlag in die Magengrube. Denn es war, als würde sein Onkel ein letztes Mal zu ihm sprechen.
    Sir Walters Ausdrucksweise, seine Art, Sätze zu bilden und Dinge in Worte zu kleiden, sowie sein feinsinniger Humor, für den Quentin ihn stets so bewundert hatte, waren sogar in seinem Testament noch deutlich zu erkennen, sodass es wie ein letzter Gruß wirkte, eine letzte Empfehlung an die, die zurückblieben. Nicht nur Quentin schien das so zu empfinden, auch Lady Charlotte, Anne, Sophia und Charlie waren sichtlich bewegt und rangen mit den Tränen, während Walter nur dasaß und mit versteinerter Miene den Worten seines Vaters lauschte, die der Notar mit trockener Stimme vortrug.
    Abgesehen von dem Zusatz, den Sir Walter offenbar nur wenige Wochen vor seinem Tod verfasst hatte und der Quentin zum Verwalter des Nachlasses bestimmte, war alles so, wie die Familie es erwartet hatte: Die Vermögenswerte wurden aufgeteilt, Lady Charlotte und die beiden Töchter erhielten das Stadthaus, während Walter und Charles Abbotsford bekamen. James Ballantyne sollte nach Sir Walters Willen großzügig an dessen Buchrechten beteiligt und der Rest des Vermögens dazu aufgewendet werden, noch offene Verbindlichkeiten zu begleichen. Walter Scott, der im Leben stets so klug und vorausschauend gehandelt hatte, schien auch im Tode noch an alles gedacht zu haben. Nur mit einem hatte er wohl nicht gerechnet – mit der tiefreichenden Krise, die sein geliebtes Schottland befallen hatte.
    »Dies«, schloss Filby den Vortrag des Testaments, nachdem er es ganz verlesen hatte, »ist Sir Walters letzter Wille. Ich nehme nicht an, dass Sie die Erbschaft ausschlagen oder das Testament anfechten wollen?«
    »Natürlich nicht«, erwiderte Walter, der bislang stoisch geschwiegen hatte. »Wo denken Sie hin?«
    »Ich hatte das auch nicht angenommen, junger Master«, versicherte Filby kopfschüttelnd. »Als Notar ist es allerdings meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, dass die Verbindlichkeiten, von denen Ihr Vater in seinem Testament spricht … nun, dass sie sehr viel höher sind, als ihm zu diesem Zeitpunkt wohl klar gewesen ist.«
    »Was?«, fragte Walter.
    »Es ist wahr«, bestätigte Ballantyne niedergeschlagen. »Ihr Vater hatte mir verboten, darüber zu sprechen, aber ich denke nicht, dass dieses Verbot über seinen Tod hinaus gilt. Dem Verlag geht es schlecht, schon seit geraumer Zeit. Viele Menschen bangen in diesen Tagen um ihre Existenz, da wird der Kauf eines Buchs zur unwichtigen Nebensache.«
    »Sie müssen sich nicht rechtfertigen, James«, versicherte Lady Charlotte. »Wir sind sicher, Sie und Walter haben alles getan, um das Schiff sicher durch den Sturm zu steuern.«
    »Das haben wir«, versicherte Ballantyne, »aber es ist uns leider nicht gelungen. Als Folge der Bankenkrise mussten wir private Kredite aufnehmen, schon vor geraumer Zeit. Ein Londoner Investor hat uns Geld gegeben, damit wir den Verlagsbetrieb aufrechterhalten konnten. Im Gegenzug sind wir hohe Verbindlichkeiten eingegangen, Walter vor allem …«
    Lady Charlotte wirkte angespannt, behielt jedoch die Fassung. »Was genau bedeutet das?«, wollte sie wissen.
    »An jenem Abend im Dezember«, berichtete Ballantyne stockend, »als Walter mich besuchte, kurz bevor er …« Der Verleger unterbrach sich. »Es ging um die finanziellen Schwierigkeiten, in die unsere Firma geraten war«, fuhr er schließlich fort. »Ich bin nicht stolz darauf, aber die Zinsen drohten uns aufzufressen, also wollte ich Walter dazu überreden, einen Teil seines Privatbesitzes zu veräußern … Aber er lehnte das ab und meinte, dass ich Vertrauen in die Zukunft haben sollte und dass im neuen Jahr alles besser werden würde.«
    »Das klingt sehr nach ihm«, bestätigte Lady Charlotte mit mildem Lächeln.
    »Und kurz darauf war er tot«, sagte Walter bitter.
    Quentin biss sich auf die Lippen. Nach allem, was er in den Büchern Abbotsfords vorgefunden hatte, hatte er kaum etwas anderes erwartet. Auch dort hatten sich Schulden angesammelt, die kaum noch zu überschauen waren, Zins häufte sich auf Zins.
    »Sir Walter war sich dieser prekären Lage wohlbewusst«, nahm Notar Filby an. »Aus diesem Grund hat er Sie, werter Mr. Hay, mit der verantwortungsvollen Aufgabe betraut, die auf der Familie lastenden

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