Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
die Duchess, jedes einzelne Wort betonend. »Dann solltest du gehen.«
Serena zögerte noch immer, fassungslos über das Unrecht, das ihr widerfuhr. Was ging hier vor sich? Obwohl sie überzeugt gewesen war, diesmal aus freien Stücken zu handeln, fühlte es sich nun genauso an wie bei ihrem Onkel, wenn er von ihr abließ, nachdem er sie wie ein Stück rohes Fleisch behandelt hatte.
Gedemütigt.
Erniedrigt.
»Manus«, knurrte die Duchess nur, und der Hüne setzte sich in Bewegung, kam bedrohlich auf Serena zu.
Wissend, dass niemand ihr zu Hilfe kommen und für sie Partei ergreifen würde, wich Serena vor ihm zurück. Wie in Trance verließ sie die Küche, schlich den Gang hinab und passierte den Innenhof. Und durch die Dienstbotenpforte, durch die sie erst vor wenigen Monaten gekommen war, naiv und voller Hoffnung, trat sie hinaus auf die Straße.
Es war eine kalte Dezembernacht.
Regen fiel in dünnen, nicht enden wollenden Strängen und sorgte dafür, dass sich in den Gassen schillernde Pfützen bildeten, in denen Schmutz und Unrat schwammen.
Serena fröstelte, als sie ihre nackten Füße hineinsetzte. Noch einmal schaute sie sich um, aber alles, was sie sah, war die massige, drohende Silhouette von Manus, der in der Tür stand und nicht nur den Zugang zum Haus, sondern auch zu ihrer Vergangenheit blockierte. Unwillkürlich dachte Serena an ihr Erlebnis im Keller, an die grässliche Entdeckung, die ihr nun plötzlich wieder glaubhaft vor Augen stand, und ein Gefühl sagte ihr, dass es besser war, nicht zurückzublicken.
Von plötzlicher Furcht getrieben, wandte sie sich ab und stürzte hinaus in die dunkle und regnerische Nacht, verwirrt, gekränkt – und allein.
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9
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Edinburgh
28. Februar 1826
»Guten Morgen.«
Als Quentin den kleinen Frühstücksraum betrat, der an die Küche grenzte, war er sich einen Augenblick lang nicht sicher, ob er noch schlief und träumte. Am Tisch saß Mary, und sie lächelte ihn an wie schon lange nicht mehr. Dazu lag wieder jenes Strahlen in ihren Augen, das ihm als Erstes an ihr aufgefallen war, damals, als sie aus ihrer Ohnmacht erwacht war und er auf der Schwelle ihrer Kammer gestanden hatte, mit hochrotem Kopf und vor Staunen offenem Mund, ein Bauerntölpel, wie er im Buche stand. Jenes Strahlen, von dem er schon geglaubt hatte, es wäre für immer verloschen.
»Guten Morgen«, erwiderte er den Gruß und ging zu dem kleinen Beistelltisch, um sich etwas von dem Porridge zu nehmen, den die Haushälterin gemacht hatte. »Hast du gut geschlafen?«
»Ja«, bestätigte Mary, die bereits gefrühstückt zu haben schien. Sie trug ein roséfarbenes Kleid mit ballonförmigen Ärmeln und einem weiten Kragen, das er schon lange nicht mehr an ihr gesehen hatte. Das Lächeln, das sie ihm schenkte, war zauberhaft. »Ich bin froh, dass ich dich auf dieser Reise begleite«, fügte sie hinzu. »Ich bin gerne hier. Und in Brighid habe ich eine gute Freundin gefunden.«
»Das freut mich«, versicherte Quentin, erleichtert darüber, dass es ihr so offenkundig besser ging. Zumindest etwas, worüber er sich im Augenblick nicht den Kopf zu zerbrechen brauchte.
Er nahm ebenfalls Platz und aß einige Löffel. Der Porridge schmeckte unendlich besser als der, den er selbst zubereitete, nicht nur nach Hafer und Salz, sondern auch nach Tradition. Nach Heimat.
»Du siehst müde aus«, stellte Mary fest. »Wann bist du gestern zu Bett gegangen? Ich habe dich nicht gehört.«
»Sehr spät.« Quentin lächelte schwach. »Oder sollte ich besser sagen früh? Ich habe bis in die Morgenstunden über den Büchern gesessen, die Ballantyne geschickt hat.«
»Und?«, fragte sie nur.
Quentins einzige Antwort war ein Kopfschütteln.
»Ist es so schlimm?«
Quentin nickte nur. Wo hätte er anfangen sollen zu berichten? Er konnte wahrlich nicht von sich behaupten, ein Fachmann in Finanzdingen zu sein, aber selbst für ihn war klar ersichtlich, dass der Verlag alles andere als florierte.
Schon vor einigen Jahren waren sein Onkel und seine Geschäftspartner gezwungen gewesen, sich mit fremdem Geld zu versorgen, und die Zinsen und die wirtschaftliche Krise der letzten Jahre hatten dafür gesorgt, dass sich die Zahlungsprobleme immer weiter verschärften. Zwar liefen die Bücherverkäufe gut, da Sir Walter bis zuletzt von sich hatte behaupten können, der beliebteste schottische Romancier zu sein, dessen Werke nicht nur auf den Inseln, sondern auch auf dem Festland, zumal von den Deutschen und den
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