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Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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mehr.«
    »Aber du musst zugeben, dass diese Möglichkeit besteht. Es könnte sein, dass Brighid in ihren Träumen tatsächlich Dinge sieht, die in der Vergangenheit geschehen sind.«
    »Und wenn?«, fuhr er sie an, sehr viel schärfer, als er es beabsichtigt hatte. »Was dann, Mary? Wie können wir ihr dadurch helfen?«
    »Nun«, erwiderte sie leise, erschrocken über seine brüske Reaktion. »Ich hatte gedacht, dass …«
    »Dass was? Dass ich mich auf eine kopflose Jagd einlassen würde, so wie damals?«
    »Damals hast du mir geglaubt«, erwiderte sie.
    »Wir wissen nicht, was damals genau geschehen ist«, wandte Quentin ein, »keiner von uns. Mein Onkel jedenfalls hat nie an irgendwelchen Hokuspokus geglaubt. Er war immer überzeugt davon, dass die Dinge, die sich im Zuge der Suche nach dem Runenschwert ereigneten, eine völlig natürliche Erklärung und Ursache haben.«
    »Aber du hast nicht so gedacht.«
    »Damals vielleicht nicht«, gab er zu. »Aber heute denke ich, dass er recht hatte.«
    »Weil es deine Überzeugung ist? Oder weil er tot ist und du das Gefühl hast, ihm etwas schuldig geblieben zu sein?«
    »Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun«, behauptete er kategorisch. »Und ich verbiete dir, jemals wieder von diesen Dingen zu sprechen!«
    »Du verbietest es mir?« Die Spuren, die seine Worte in ihrem Gesicht hinterließen, verrieten deutlich, dass er zu weit gegangen war. Zornesfalten bildeten sich auf ihrer Stirn, das Strahlen in ihren Augen, über dessen Rückkehr er sich eben noch gefreut hatte, verschwand. »Früher hast du mir niemals etwas verboten. Du hast dich verändert«, stellte sie fest.
    »In der Tat«, stimmte er schnaubend zu. »Alles hat sich verändert. Mein Onkel ist tot, und dieses ganze Land ist nicht mehr das, was es noch vor ein paar Jahren gewesen ist.«
    »Der Quentin, den ich einst kannte …«
    »Was ist mit ihm?«
    »Er hätte mir geglaubt«, behauptete Mary mit Nachdruck.
    »Der Quentin von einst war auch nicht dafür verantwortlich, das Vermögen seines Onkels zu verwalten. Oder sollten wir ehrlicherweise von einem Schuldenberg sprechen? Jede Akte, jedes Buch, in das ich Einsicht nehme, offenbart mir neue Löcher, die es zu stopfen gilt! Du sprichst von Träumen? Dies hier ist einer, nämlich ein elender Albtraum, und ich habe nicht die geringste Ahnung, wohin uns das alles führt. Meiner Tante habe ich versprochen, dass ich mich um alles kümmern werde und sie sich nicht zu sorgen bräuchte, doch bei Licht betrachtet war das eine dreiste Lüge. Das alles hier«, er machte eine Handbewegung, die nicht nur das Edinburgher Stadthaus, sondern auch den Verlag und den fernen Landsitz Abbotsford einschloss, »steht auf dem Spiel, Mary. Die Aasfresser kreisen bereits, um sich auf alles zu stürzen, was Onkel Walter Zeit seines Lebens aufgebaut hat, und es gibt womöglich nichts, was ich dagegen tun kann!«
    Es wurde still, nachdem er geendet hatte.
    Quälend still.
    »Bitte verzeih, Quentin«, flüsterte Mary nach einer endlos scheinenden Weile. »Hätte ich gewusst, dass es so schlimm steht, hätte ich dich nicht mit derlei Grillen behelligt.«
    Quentin sah die Bestürzung und die Enttäuschung in ihrem Gesicht und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Es mochte sich manches geändert haben in den letzten Jahren, bisweilen jedoch, schalt er sich selbst, war er noch immer derselbe unbeholfene Bauerntölpel.
    »Du kannst nichts dafür«, versicherte er. »Ich wollte dich nicht schelten. Es ist nur … die Zeit der Träume ist zu Ende, Mary. Ich jedenfalls bin aufgewacht, und das würde ich auch dir empfehlen. Denn ich fürchte, dass sonst nur noch mehr Enttäuschungen warten.«
    Eine Weile lang saß sie nur da und starrte ihn an, ohne dass er zu sagen vermocht hätte, was hinter ihren so anmutigen wie traurigen Zügen vor sich ging.
    »Das muss ich wohl«, sagte sie dann, stand auf und verließ das Frühstückszimmer.

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    10
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    Florenz
Januar 1785
    Wie grausam das Leben sein konnte.
    Noch vor wenigen Monaten hatte Serena die Brücke über den Arno überquert, um in der großen Stadt ein neues Leben zu beginnen – nun diente dieselbe Brücke, auf der tagsüber solch reges Treiben herrschte und die unter Prunk und Reichtum zu ächzen schien, ihr des Nachts als Quartier.
    Seit mehr als einem Monat war sie nun ohne Heim und Obdach, und wie sie festgestellt hatte, war sie keineswegs die Einzige, die ein grimmiges Schicksal dazu zwang, auf der Straße zu leben.

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