Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
Serena zog verständnislos die Stirn kraus. »Ich verstehe nicht …«
»Ich denke doch«, widersprach die Duchess. »Ich denke, dass du mich durchaus verstehst. Und dass du bei Weitem nicht so unschuldig bist, wie du behauptest. Manus hat dich beobachtet, und er hat mir alles berichtet, in jeder Einzelheit.«
»Aber dann … dann wisst Ihr auch, dass Euer Vater der Herzog und ich uns in Freundschaft zugetan sind«, erwiderte Serena hilflos.
»Hat er dir das gesagt?« Die Duchess lachte auf.
»Warum lacht Ihr?«
»Was soll ich denn deiner Ansicht nach sonst tun? Glaubst du, ich würde meinen Vater nicht kennen? Dass ich nicht wüsste, wie er sein kann? Einfühlsam und charmant, voller Liebe und Verständnis?«
»Das ist wahr«, pflichtete Serena ihr lächelnd bei.
»Schade nur, dass er sich seinem Eheweib gegenüber niemals so gezeigt hat. Und auch nicht gegenüber seiner Tochter.«
»Das … tut mir leid«, versicherte Serena. Der Schmerz, den die Duchess darüber empfinden musste, war deutlich zu spüren.
»Ich brauche dein falsches Mitleid nicht«, wies die sie zurecht. »Denn anders als du gehöre ich zu seiner Familie. Daran wird sich nichts ändern, weder durch dich noch durch irgendjemanden sonst, hast du verstanden? Ich lasse nicht zu, dass eine hergelaufene Küchenmagd mir meine Position streitig macht. Mir nicht und auch meinen Kindern nicht!«
»Euren Kindern?« Serena sah sie verwundert an. Jäh dämmerte ihr, dass sie zwischen die Fronten eines Konflikts geraten war, der offenbar schon seit Langem schwelte. Nur so war zu erklären, dass eine Frau von vornehmer Abstammung eifersüchtig auf eine Hausbedienstete war. Und es erklärte womöglich auch, warum Carla, die vorherige Küchenhilfe, so plötzlich verschwunden war.
»Verzeiht, Herrin«, stieß Serena erschrocken hervor, »das wusste ich nicht. Ich wollte nicht …«
»Hast du ihn so betört?«, fiel die Duchess ihr ins Wort. »Mit diesem Blick, der so voller Unschuld und offenkundiger Verwirrung ist? Mein Vater hat eine Schwäche dafür!«
»Ich habe ihn nicht betört«, beeilte sich Serena zu versichern. »Es ist … passiert.«
»Keine Sorge«, versicherte die Duchess mit zornbebender Stimme, »du bist nicht die Erste, die seine niederen Triebe befriedigt hat. Aber ich werde dafür sorgen, dass du die Letzte bist. Ich habe endgültig genug davon, von Dienstmädchen und Küchenmägden vorgeführt und gedemütigt zu werden!«
Serena fühlte, wie ihr Gesicht heiß wurde, teils aus Furcht, teils aus Scham. Sollte es also wahr sein, dass der Herzog auch ihrer Vorgängerin seine Gunst geschenkt hatte?
»Was … was bedeutet das?«, fragte sie vorsichtig.
»Du wirst uns verlassen, noch heute Nacht«, eröffnete die Duchess ihr ebenso knapp wie endgültig.
»Was? Aber …«
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«
»Aber das ist ungerecht!«, begehrte Serena auf. »Wenn der Herzog will, dass ich gehe, dann werde ich gehen, aber ich will es aus seinem Mund hören!«
»Du wagst es, auch noch Ansprüche zu stellen?« Der Blick der Duchess wurde stechend. Einen Moment lang schien sie um ihre Fassung zu ringen – und zu verlieren. Denn im nächsten klatschte ihr Handrücken abermals mit Wucht in Serenas Gesicht.
»Mein Vater ist unpässlich«, beschied sie ihr dazu, »und daran hast du nicht unerheblichen Anteil, also hüte lieber deine vorlaute Zunge!«
Eine Hand auf ihre schmerzende Wange pressend, kämpfte Serena mit den Tränen. »Ich werde in meine Kammer gehen und packen«, erklärte sie so würdevoll, wie sie es nur irgend vermochte.
»Als du in dieses Haus gekommen bist«, beschied ihr die Duchess mit zornbebender Stimme, »hast du nichts besessen als das, was du am Leibe trugst. Wie ich meinen Vater kenne, hat er dich großzügig für deine Dienste entlohnt, also bescheide dich damit und geh, ehe ich es mir anders überlege.«
Serena starrte sie an.
So erschrocken und eingeschüchtert sie war, so sehr regte sich doch ihr Widerstand. Die Duchess hatte kein Recht, sie wie eine billige Hure zu behandeln! Was wusste sie von dem, was ihren Vater und Serena verband, was von der Freundschaft, in der sie einander zugetan waren?
»Charles!«, rief Serena deshalb laut den Namen des Mannes, von dem sie wusste, dass er sie kannte wie kein anderer und ihre Nöte verstand. »Charles, bitte hilf mir!«
Sie wartete, lauschte, ob aus dem ersten Stock eine Antwort drang.
Aber es blieb still.
»Bist du jetzt fertig?«, fragte
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