Das Vermächtnis der Schwerter
sofort, als ihn der Blick des Einäugigen wie eine Speerspitze traf.
»Ihr –«, Arton wies auf die beiden jungen Glaubensschüler, »raus!«
Nataol rückte sich gemächlich sein Gewand an den Schultern zurecht, dann nickte er den Novizen zu und diese verließen schweigend den Raum.
»Warum so aufgebracht, werter Arton?«, erkundigte sich Nataol, als er mit dem Schwertkämpfer alleine war. »Ist etwas Unerwartetes geschehen?«
»Fangt nicht schon wieder so an«, knurrte Arton gereizt, »ich stelle die Fragen und Ihr gebt Antwort, sonst werdet Ihr mich gleich von meiner unzivilisierten Seite kennen lernen. Ich kann Euch nur raten, in Bezug auf mich nicht zu sehr auf Eure Menschenkenntnis zu vertrauen, sonst werde ich Euch beweisen müssen, dass auch Ihr Euch irren könnt.«
Der Erleuchtete, dessen Gesicht nach wie vor eine ungesunde Blässe aufwies, setzte sich behutsam auf sein Bett und strich sorgfältig die Falten seiner Robe glatt. »Unfehlbar ist nur Cit allein«, bemerkte er leise. »Ich würde mich niemals erdreisten, zu behaupten, ich könnte nicht irren. Aber wer mit solcher Vehemenz zu Werke gehen muss wie Ihr, der handelt nicht im Bewusstsein seiner eigenen Überlegenheit. Insofern erlaube ich mir, zu vermuten, dass Ihr in einer misslichen, vielleicht sogar ausweglosen Lage seid, aus der nur mein Wissen Euch befreien kann.« Der Hohepriester sah dem Schwertmeister freundlich ins Gesicht.
In einer fließenden Bewegung riss Arton das schwarze Schwert heraus und platzierte die Spitze unmittelbar vor Nataols Kehle. Der greise Glaubensdiener zeigte jedoch keinerlei Reaktion.
»Mithilfe dieser Klinge«, sagte Arton drohend, »habe ich Eure Kontrolle über die Zarg beziehungsweise die Themuraia, wie Ihr sie nennt, gebrochen und das trotz meiner Unerfahrenheit. Glaubt Ihr nicht, dass das ein Zeichen der Überlegenheit war?«
Nataol lächelte. »Da sprecht Ihr zweifellos die Wahrheit, schließlich zwang mich Euer geistiger Angriff tagelang auf mein Lager nieder. Allerdings seid Ihr Euch dieser Überlegenheit nicht wirklich bewusst, denn Ihr versteht nicht, diesen Quell der Kraft nach Eurem Willen auszuschöpfen, noch wisst Ihr, wo sein Ursprung liegt. Ihr seid wie der Wanderer in der Wüste, der zufällig eine kleine Pfütze entdeckt und versucht, an dem bisschen feuchten Sand seinen Durst zu stillen, dabei aber die Oase hinter der nächsten Düne übersieht.« Der Glaubensführer betrachtete bei seinen Worten interessiert die schwarze Klinge, deren Spitze auf seinen Hals gerichtet war.
Der junge Erenor ließ die Waffe sinken. So kam er nicht weiter. »Nun gut, dann bin ich eben ein unwissender Wüstenwanderer, den man zu der Oase führen muss. Wie auch immer, ich möchte mehr über dieses Schwert erfahren und lernen, es richtig zu benutzen.«
Der Hohepriester nickte zufrieden. »Bescheidenheit ebnet den Weg zu wahrer Größe. Ein wenig mehr Demut steht Euch gut zu Gesicht.«
Arton entfuhr ein verächtliches Lachen. »Demut? Vor Euch?«
Das erste Mal während ihrer Unterhaltung zog eine Wolke der Verärgerung über Nataols Gesicht. Erleichtert stellte Arton fest, dass es doch möglich war, den Glaubensmann aus der Ruhe zu bringen.
»Nicht vor mir als Person«, entgegnete Nataol streng, »aber dem heiligen Amt, das ich verkörpere, solltet Ihr ein wenig mehr Respekt entgegenbringen. Schließlich diene ich dem höchsten aller Götter und Cit wird es begrüßen, wenn Ihr seinem Würdenträger Ehre erweist.«
Jetzt war es an Arton, den Citpriester mit einem nachsichtigen Lächeln zu bedenken. »Ich glaube, dass der große Cit meinem Tun höchstens so viel Interesse entgegenbringt wie wir Menschen einer Ameise, die einen Stein erklimmt. Aber ich will jetzt keine Glaubensfragen mit Euch diskutieren.« Er seufzte und ließ sich auf einem Stuhl nieder.
Als er weitersprach, klang seine Stimme kühl und beherrscht. »Einer meiner Gefährten, sein Name ist Rai, wurde von einigen Aufrührern verschleppt. Da ich bisher schon mehrmals die Kraft des Schwertes gespürt habe und dabei stets das Gefühl hatte, auch die Gedanken der Menschen in meiner Umgebung erfassen zu können, hatte ich die Idee, mithilfe des Schwerts nach Rais Entführer zu suchen oder vielmehr nach dessen Gedanken. Ich habe das auch schon versucht, als wir in das Versteck der Aufrührer eingedrungen sind, aber es fiel mir sehr schwer, die vielen undeutlichen Bilder – eben die ›Geistsprache‹, wie Ihr dazu sagen würdet – der zahlreichen
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