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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Augenblick traf die Hand des Junkers erneut ihr Gesicht. Diesmal sprangen Marieles Lippen auf, und sie schmeckte ihr eigenes Blut. Wie durch einen dichten Nebel hörte sie Ingolds Stimme zu sich dringen.
    »Willst du wohl gehorchen!«
    »Niemals!«
    Der Junker hob erneut die Hand, doch bevor er zuschlagen konnte, packte Michi seinen Arm. »Lass meine Schwester los!«
    Ingold schüttelte ihn ab wie ein lästiges Insekt und schleuderte ihn zu Boden. Der Junge sprang sofort wieder auf und zog seinen Dolch, um Mariele zu verteidigen. Gleichzeitig verwandelte seine Schwester sich in eine kratzende und beißende Wildkatze. Ingold von Dieboldsheim fand sich in einer Zwickmühle. Um das tobendeMädchen zu bändigen, benötigte er beide Arme, gleichzeitig musste er sich Michi vom Leib halten.
    In der Burg war man auf das Geschehen aufmerksam geworden. Die kleine Trudi stürmte aus dem Palas, kollerte fast die Freitreppe hinab und ging nun ebenfalls auf den Junker los.
    »Lass sofort Mariele los!« Sie bearbeitete mit ihren kleinen, aber bemerkenswert kräftigen Fäusten seinen Oberschenkel und zielte dabei vor allem nach einer Stelle, an der er lieber nicht getroffen werden wollte. Kurz nach ihr erschienen die beiden Waffenknechte Gereon und Dieter, denen man in der Burg eine gewisse Achtung entgegenbrachte, weil sie Maries Begleiter auf deren letzter Reise gewesen waren. Ihnen folgte die neue Wirtschafterin Germa.
    »Was soll der Aufruhr?«, keifte die etwas füllige, aber immer noch recht ansehnliche Frau. Sie hob den Besen, den sie auf dem Weg nach draußen an sich genommen hatte, und wollte damit auf Mariele einschlagen.
    Trudi sah es, ließ von dem Junker ab und funkelte die Wirtschafterin zornig an. »Geh weg, du böse Frau!«
    Germa sah zwar noch, wie die Kleine zwischen sie und Mariele trat, konnte aber ihren Besen nicht mehr stoppen und traf Trudis Kopf. Während die Kleine heulend zu Boden sank, wurde die Wirtschafterin schreckensbleich. Es war bekannt, mit welcher Liebe Michel an seiner Tochter hing. Sollte Trudi stärker verletzt sein, würde selbst Schwanhild sie nicht vor seinem Zorn retten können.
    Mariele riss sich von Ingold los und kniete neben Trudi nieder.
    »Hat die böse Frau dir wehgetan, mein Schatz? Aber so ist es nun einmal, wenn die eigene Mutter nicht mehr da ist und eine Fremde die Herrin spielt. Das aber wird bald vorbei sein, denn dein Papa wird deine Stiefmutter davonjagen und das Gesindel, das diese auf die Burg gebracht hat, gleich mit.«
    Als Ingold von Dieboldsheim den fanatischen Ausdruck ihrerAugen sah, wurde ihm bewusst, dass dieses Mädchen niemals aufgeben würde, ihn und Schwanhild der Untreue zu bezichtigen. Hatte er eben noch gehofft, Mariele mit geharnischten Worten und ein paar Schlägen zum Schweigen zu bringen, begriff er nun, dass sein Eingreifen die Situation zugespitzt hatte. Unwillkürlich wanderte sein Blick zum Söller, auf dem Schwanhild und Frieda den Aufruhr auf dem Hof beobachteten. Die Burgherrin war bleich wie ein Leinentuch und presste beide Hände auf ihr Herz. Ein so tiefes Erschrecken zeichnete ihr Gesicht, dass Ingold sich fragte, was in ihr vorgehen mochte. Dann erkannte er, dass ihr Augenmerk nicht ihm galt, sondern dem Burgtor. Er drehte sich um und sah den Burgherrn in den Hof einreiten.
    Michel hatte einen Nachbarn aufsuchen müssen und war schon mit einem schlechten Gefühl aufgebrochen. Daher hatte er dessen Einladung zum Essen ausgeschlagen, um schnell wieder nach Hause zurückkehren zu können. Jetzt blickte er auf die erstarrte Gruppe, die sich um seinen Kastellan versammelt hatte, und bemerkte, dass Trudis Haare voll Blut waren.
    Er sprang aus dem Sattel, nahm seine Tochter aus Marieles Armen und drückte sie an sich. »Was ist denn mit dir passiert, mein Liebes?«
    Trudis Augen blitzten zornig auf. »Die böse Frau da hat mich geschlagen!«
    Ihr Zeigefinger wies auf Germa, die verzweifelt überlegte, wie sie die Schuld von sich abwenden konnte. »Der Schlag galt nicht Eurer Tochter, Herr, sondern dem lügenhaften Ding da.« Dabei deutete sie auf Mariele.
    Michel sah eine Menge Ärger auf sich zukommen, richtete sich auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Was geht hier vor?« Der Junker zitterte und konnte den Mund nicht öffnen, das unerwartete Erscheinen seines Herrn hatte ihn nicht weniger erschreckt als Schwanhild. Mariele hingegen straffte die Schultern,um ihre Beschuldigungen vor Michel zu wiederholen. Da griff die Wirtschafterin ein.

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