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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Landulf teilte, Michels neuem Knappen, und starrte düster vor sich hin. Er fühlte sich von seinem Patenonkel missachtet und verging gleichzeitig vor Angst um seine Schwester. Mariele mochte vorlaut und eitel sein, aber sie war gewiss keine Lügnerin. Genau wie sie hatte er die Blicke bemerkt, welche die Herrin und Junker Ingold wechselten, wenn sie sich unbeobachtet glaubten, und er hatte die Verachtung erlebt, die Frau Schwanhild für ihren Ehemann empfand. Daher hielt Michi es durchaus für möglich, dass es zwischen ihr und dem Junker zu verbotenen Dingen gekommen war. Jeder hier in der Burg glaubte das bis auf seinen Patenonkel, aber der war so dumm, dem Eid des Kastellans zu vertrauen. Michi korrigierte sich sofort. Michel war nicht dumm. Er wollte nur die Wahrheit nicht sehen, denn sie hätte sein Selbstgefühl und seine Ehre erschüttert.
    »Ingold lügt und Michel stellt sich taub – und deswegen soll meine Schwester ausgepeitscht und gebrandmarkt werden!« Michi schrie die Tür an, da er niemand anderen hatte. »Nicht mit mir!«
    Er sprang auf und begann in aller Eile seinen Mantelsack zu packen. Er besaß nicht mehr als ein paar Kleidungsstücke, eine Hand voll kleiner Münzen und zwei, drei Dinge, von denen er sich nicht trennen wollte. Als er fertig war, nickte er zufrieden. Jetzt musste er nur noch Mariele aus dem Kämmerchen befreien, in das man sie gesperrt hatte, und mit ihr fliehen. Die Stallknechte kannte er gut. Sie würden ihm zwar nicht helfen, aber gewiss alle Augen zudrücken. Für sich würde er den jungen Wallach nehmen, den er auch sonst ritt, denn er war ein ausdauerndes, wenn auch nicht übermäßig wertvolles Tier. Seine Schwester würde mit Häschen, Maries Stute aus Rheinsobern, vorlieb nehmen müssen.
    Gerade als Michi auf die Tür zutreten wollte, hörte er draußen ein Geräusch, und bevor er reagieren konnte, wurde der Riegel vorgeschoben. Gleichzeitig lachte jemand hämisch auf.
    »Landulf! Mach sofort die Tür auf, sonst setzt es was!« Michi hämmerte zornig gegen das Holz, als Michels Knappe diesem Befehl nicht sofort nachkam.
    »Du weißt, ich bin stärker als du!«
    Auch das half nichts. Den Geräuschen nach schien Landulf sich zu entfernen. Eine kurze Zeit sang der Junge, den Michel an seine Stelle gesetzt hatte, noch eine Weise, die ein fahrender Spielmann vor wenigen Monaten vorgetragen hatte, dann war es still. Michi drehte dem Knappen im Geist den Hals um, wusste aber genau, dass er ihn nicht zu schlimm zurichten durfte. Landulf war zwei Jahre älter als er, ein Stück größer und bedeutend schwerer, konnte sich aber weder an Gewandtheit noch an Kampferfahrung mit ihm messen. Doch selbst die Aussicht auf ein paar blaue Augen, die er Landulf am nächsten Tag verpassen würde, konnte ihn nicht darüber hinwegtrösten, dass der Kerl es ihm unmöglich gemacht hatte, seiner Schwester zu helfen. Verzweifelt setzte er sich auf sein Bett und versuchte gegen die Tränen anzukämpfen.
    Michi ahnte nicht, dass Michel kurz darauf den Gang herabkam und vor der Tür stehen blieb. Beim Anblick des vorgeschobenen Riegels zog er die Stirn kraus. Anscheinend hatte einer der Waffenknechte geahnt, dass ein so gewitzter Bursche wie Michi nicht einfach die Hände in den Schoß legen würde, und ihn eingeschlossen. Oder hatte der Junge den Raum bereits verlassen und den Riegel vorgelegt, um die anderen zu täuschen? Um sich zu vergewissern, legte Michel ein Ohr an die Tür. Drinnen waren verzweifeltes Schluchzen und gelegentlich ein wütender Fluch zu hören.
    Für einen Augenblick überlegte Michel, ob er eintreten und mit seinem Patensohn reden sollte. In seinem jetzigen Zustand würde der Junge jedoch zu keinem ernsthaften Gespräch fähig sein, und Michel wollte nicht, dass zwischen ihnen Worte fielen, die es ihnen hinterher schwer machen würden, sich wieder als gute Freunde zu fühlen – falls das nach dem morgigen Tag überhaupt noch möglich sein würde.
    Leise zog er sich zurück und durchquerte die Halle. Hier hatte es sich ein Teil seiner Krieger und Knechte für die Nacht bequem gemacht. Die meisten schliefen in Decken gehüllt auf Strohschütten, die am Morgen wieder weggeräumt wurden, und die wenigen, die noch wach waren, grüßten ihren Herrn leise, um die anderen nicht zu wecken. Michel antwortete mit einem Winken und wollte den Saal bereits durch die andere Tür verlassen, als er seinen neuen Knappen entdeckte.
    Es war ungewöhnlich, dass der edel geborene Landulf

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