Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
auserkoren!«
»Mir geht es gut, Zebeide, ich bin nur ein wenig müde.«
»Oh, Herrin, sagt das nicht. Leidet Ihr sehr?«
»Nein, Zebeide, das habe ich doch gerade gesagt. Wenn ich daran denke, was ich alles durchgemacht habe, geht es mir nun wirklich sehr gut. Und das Kind hat mir geholfen.«
»Welches Kind?«
Zebeide sah sich um, doch sie sah niemanden. Dann verstand sie: Ihre Herrin delirierte – das also hatte es mit der Krankheit auf sich! Wenn man anfing, Gespenster zu sehen, dann war das ein schlimmes Zeichen. Ziegen oder Pferde mit riesigen Nüstern, sagte man, seien Dämonen, die bereits die verbrannten Seelen genossen hätten. Engel hingegen seien die Schatten der toten Kinder, die am Ende eines Menschenlebens kämen, um den Sterbenden zum Heiligen Petrus zu begleiten. Die Herrin lag also im Sterben.
»Siehst du es nicht, Zebeide?«
»Nein, meine Herrin«, stammelte die weinende Dienerin. »Doch wenn Ihr es sagt, dann glaube ich es.«
»Mein Leib, liebe Freundin, schau auf meinen Leib. Das Kind ist dort drin.«
»Jesus Maria! Bei allen Heiligen! Dann geht es Euch also gut? Ist es schwer? Tritt es Euch? Zeigt mir Euren Bauch – ist es ein Spitzbauch? Dann wird das Kleine nie in den Krieg ziehen müssen.«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es lebt und dass es ihm gut geht. Doch nun setz dich zu mir und erzähle mir. Wie hast du mich gefunden?«
Die Frau senkte ihren Blick und begann hektisch, die Falten auf dem Leintuch glatt zu streichen.
»Sprich, Zebeide«, Leonora richtete sich ein wenig auf. »Was ist los?«
»Der Herr … ist.«
»Der Herr … was?!«
Ein Stich in ihrem Leib ließ ihr den Atem stocken.
»Er ist hier, meine Herrin.«
Leonora schloss die Augen.
»Geht es ihm gut?«, fragte sie leise.
»Ja, Herrin, soweit ich es sehen konnte.«
»Und er ist hier … wo?«
»Hinter dieser Tür, meine Herrin. Ihr sollt selbst entscheiden, meinte die Schwester, ob Ihr ihn sehen wollt oder nicht.«
»Dummheiten.« Leonora fasste sich nervös ins Gesicht, als wolle sie sich zurechtmachen.
»Gewähre ihm Einlass.«
Als er seine Frau mit ihrem schwachen Lächeln und feuchten Augen sah, ging Ferruccio vor ihr auf die Knie. Er nahm ihre Hand und ließ sein Haupt auf ihre Brust sinken. Während sie ihm über sein Haupt strich, verweilte sein Blick auf ihrem Leib. Er verstand und legte eine Hand auf Leonoras Bauch. Tränenüberströmt schaute Ferruccio sie an und legte seine Lippen auf ihren Mund.
»Leonora, ich liebe dich.«
»Ich dich auch«, antwortete sie leise, »und sie oder ihn da drinnen auch. Ich glaube, das Kind hat deine Berührung gespürt. Du hast uns sehr gefehlt, doch nun ist alles vorüber.«
»Ja.«
Ein Schmerz durchzuckte ihr Antlitz, und sie riss die Augen auf.
»Leonora!«
»Das Kind! Es schmerzt! Hilf mir, ich habe Angst.«
Während sich Ferruccio auf das Bett stützte, um sich zu erheben, fühlte er die Nässe. Er steckte seine Hand unter die Decke, zog sie jedoch erschrocken zurück – das Laken war völlig durchnässt. Es schien Wasser zu sein, hatte aber einen beißenden, säuerlichen Geruch. Leonora schrie, als hätte sie einen Dolchstoß erhalten.
»Zebeide!«, brüllte Ferruccio. »Lauf und hole jemanden herbei, schnell!«
Die Frau prallte mit der Äbtissin zusammen, die, von den Schreien alarmiert, bereits herbeigeeilt kam.
»Was ist hier los? Hatte ich dir nicht gesagt, dass ihr leise sein sollt?«
»Der Herrin geht es schlecht; sie ist schwanger!«
Ein weiterer Schrei hallte durch den Saal, und erste Seufzer erhoben sich von den anderen Krankenlagern. Während die Äbtissin an Leonoras Bett kam, liefe Zebeide durch den Korridor und warf sich in die Arme Gua Lis.
»Gute Frau!« Zitternd fiel sie vor ihr auf die Knie. »Meine Herrin leidet und schreit. Ich bitte Euch, kommt und seht nach ihr!«
In der Zwischenzeit stand die Äbtissin am Fußende von Leonoras Bett und zog die Augenbrauen hoch.
»Ich werde die Hebamme rufen lassen, Euer Weib kommt nieder.«
Ferruccio hielt Leonoras Hand und spürte ihre Wehen, die abzuklingen schienen. Leonora schwitzte. Ihre Schreie waren in leise Seufzer übergegangen. Ihr Atem ging flacher, und ihr Händedruck hatte nachgelassen. Obwohl ihn diese offensichtliche Verbesserung ihres Zustandes hätte beruhigen müssen, befürchtete Ferruccio doch, dass die Ursache hierfür eine größer werdende Schwäche war. Er bemerkte nicht einmal Gua Lis Anwesenheit, bis ihn eine Frau, die einen Lederschurz trug,
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