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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Felsvorsprung am Ende der Grotte stimmten einige Männer in schwarzen Turbanen, die ihr Gesicht beinahe komplett verdeckten, ein Mantra an, und bereits nach kurzer Zeit hallte das sich immer wiederholende Credo der liebsten Kinder Allahs, einer einzigen Stimme gleich, von den Wänden wider.
    » Subhana rabbiya-l-a’la! Wa bi-hamdih! – Preis sei meinem Herrn, dem Allerhöchsten, ich lobe ihn!«
    Der Klang schwoll immer weiter an, bis er die Mauern der Grotte und den Boden erbeben ließ und weißer Staub von der Decke herabrieselte. Als das Gewölbe durch die Kraft der Schallwellen einzustürzen drohte, erhob sich ein Mann in weißem Kaftan und breitete seine Arme aus. Augenblicklich verstummte die Menge. Die Menschen streckten ihre Hälse, um einen Blick auf die Große Mutter werfen zu können. Wie durch Magie war sie plötzlich hinter den Männern mit den schwarzen Turbanen erschienen. Ihr Niqab leuchtete rot wie das Feuer der Fackeln, und ein dünner schwarzer Schleier verdeckte ihr Antlitz. Ihre warme und kräftige Stimme erfüllte die Grotte wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts.
    » Bismil-lahir-rahmanir-rahim ! Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes! Der Tag des Jüngsten Gerichtes ist nah! Die Sonne und der Mond werden nicht mehr strahlen, die Berge zerbersten, die Meere austrocknen und die Erde und der Himmel vergehen; die Toten werden auferstehen und für ihre Taten, die sie in ihrem irdischen Leben begingen, Rechenschaft ablegen müssen! Die Ungläubigen und all jene, die unverzeihliche Sünden begangen haben, werden in der Hölle schmoren, während die redlichen Gläubigen ins Paradies einziehen werden. Es gibt jedoch nur einen einzigen Weg, sich das Leben im Paradies zu verdienen – nämlich den Willen Gottes auf Erden zu erfüllen!«
    Sie hob den rechten Arm und zeigte mit dem Zeigefinger nach oben. Die Menge, die ihr atemlos zugehört hatte, explodierte in einem einzigen Schrei, der das Gewölbe und die Wände der Grotte heftig erzittern ließ.
    » Allahu Akbar! Allah ist groß!«
    Die Gläubigen schrien es immer wieder, bis die Wächterin ihre Arme senkte. Die Menge verstummte. Ihre Stimme wurde zu einem leisen Flüstern, das trotz des natürlichen Echos in der Grotte kaum noch zu verstehen war.
    »Seid bereit, ihr Auserwählten!«, rief die Große Mutter der Menge zu. »Bald werdet ihr aufgerufen sein, gegen den großen Ungläubigen zu marschieren. Aber wisset: Sein Herr, der Mann im weißen Gewand, wird noch vor seinem Tod den wahren Glauben kennenlernen und bereuen. Aber es wird zu spät sein – um ihn herum wird die Stadt des Lasters wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Warten wir also mit geöffneten Händen unter dem Baum der Erkenntnis, dem Feigenbaum, und warten wir, dass die verfaulte Frucht ihres falschen Glaubens endlich abfällt. Allah ist groß! Allah ist barmherzig! Allah ist gerecht!«
    Die Menge antwortete mit einem zustimmenden Aufschrei, und tausend Fackeln erhoben sich zu einer kollektiven Flamme. Erneut hob die Große Mutter ihre Arme, und wieder verstummte die Menge augenblicklich.
    »Der Tod ereilt all diejenigen, die sich nicht dem richtigen Glauben zuwenden, allen voran den Mann im weißen Gewand, der sich Papst nennt oder Heiliger Vater – der aber nichts als Bastarde zeugt. Eine weitaus schlimmere Strafe ereilt jedoch den, der die Botschaft des Propheten, gepriesen sei Sein Name, kennt, sie aber gleichwohl missachtet und mit Füßen tritt. Ich spreche über unseren gottlosen Sultan, dem nur Gott vergeben kann. Wir jedoch nicht, wir müssen die Scharia, seine Gesetze , respektieren. Das wird das Ende sein, das die Schuldigen erwartet!«
    Zwei Männer bahnten sich eine Gasse zwischen den Priestern hindurch, die sich um sie versammelt hatten. Sie schleiften einen jungen Mann mit nacktem Oberkörper hinter sich her. Sein Körper war von Peitschenhieben und Schnitten übersät und sein geschwollenes Gesicht grün und blau geschlagen. Um seinen Hals war ein Strick gebunden, dessen Ende ein dritter Mann – ein Riese mit einer Henkerskapuze über dem Kopf – fest in den Händen hielt. Die beiden Männer schleppten den Gefangenen bis zum Rand des Felsenvorsprungs, der über die Menschenmenge ragte, und warteten auf das Zeichen. Ungeduldig auf das Opferritual wartend begannen ein paar Gläubige rhythmisch mit den Füßen auf den Boden zu stampfen und steckten alle anderen Gläubigen an. Bald klang es, als habe die Grotte einen eigenen, immer schneller pulsierenden

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